Sápmi und die Samen – Das Land und das Volk

(FOTO: Liane Gruda) Hans-Joachim Gruda vom KULTURHUS BERLIN verbindet sehr viel mit der samischen Kultur.
(FOTO: Liane Gruda) Hans-Joachim Gruda vom KULTURHUS BERLIN verbindet sehr viel mit der samischen Kultur.

Heute ist Tag des Samischen Volkes. Überall in Sápmi, dem Land der Samen, d.h. im finnischen und schwedischen Teil Lapplands, in der norwegischen Finnmarkt und auf der Kola-Halbinsel in Russland weht derzeit die samische Flagge. Doch auch wenn die Samen heute mit Stolz und Herz für ihre Kultur einstehen, war das nicht immer so. Lange Zeit wurde das indigene Volk im Norden Europas von Staat und Kirche unterdrückt und ihre Kultur und Sprache fast ausgelöscht. Ein neues Nationalbewusstseins entwickelte sich erst im Laufe der 1970er-Jahre. Im Interview spreche ich mit Hans-Joachim Gruda vom KULTURHUS BERLIN über die Samen, ihre Kultur und seine Verbindung zur indigenen Bevölkerung Nordeuropas.

Interview mit Hans-Joachim Gruda vom KULTRURHUS BERLIN

Teil 1: Sápmi, die Samen und das KULTURHUS BERLIN

Hans-Joachim und Liane Gruda
(FOTO: Liane Gruda) Hans-Joachim und Liane Gruda in ihrer zweiten Heimat Sápmi

Finntastic:
Bures, Bures Hannes, wie schön, Dich kennenzulernen. Wie ich gehört habe, teilt Deine Frau Liane Deine Nordpassion. Seit wann brennt euer Herz für Sápmi und die Kultur der Samen?

Hans-Joachim:
Im Jahre 1964 veranstaltete der Berliner Landesverband der SPD-Jugendorganisation „Die Falken“ ein Sommerlager für Kinder und Jugendliche in Südnorwegen. Schirmherr war Willy Brandt, späterer Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland (1969-1974), der während der Nazizeit in Norwegen im Exil und im Widerstand gelebt hatte. Allerdings war am 9. April 1940 die „Deutsche Wehrmacht“ auch in Norwegen einmarschiert. Die Besetzung Norwegens dauerte bis zum 8. Mai 1945, bis zum Ende des zweiten Weltkrieges.

Die Reise junger West-Berliner nach Norwegen sollte ein Zeichen der Versöhnung sein – ein Zeichen dafür, dass nach dem Krieg in Deutschland eine neue Generation heranwachsen würde, demokratisch, antifaschistisch und das friedliche Zusammenleben mit den Nachbarn suchend. Mein Vater war als Sanitätsunteroffizier in Norwegen stationiert gewesen. Als „alter Sozialdemokrat“ hat er es nie verwunden, dass er selbst nicht aktiv Widerstand geleistet hatte und er wollte deshalb, dass ich – sozusagen als Stellvertreter – mit der Jugendorganisation und Willy Brandt nach Norwegen fahre.

Ich war damals sechzehn Jahre alt, offen für alles Neue und Interessante, was das Leben zu bieten hat. Die Begegnungen sowohl mit den Teilnehmern des Jugendcamps als auch mit jungen Norwegern haben meinen weiteren Lebensweg wesentlich geprägt. Mein Politisches und gesellschaftliches Engagement und die Liebe zu den Menschen im Norden, das tiefe Interesse für die Kulturen, die Geschichte und die Geschichten der Menschen des Nordens – das hat seinen Ursprung im Jahre 1964 und den Begegnungen in Südnorwegen, mit Menschen, mit denen ich mich noch heute eng verbunden fühle.

Finntastic:
Und wie entstanden eure Kontakte nach Sápmi und eure Freundschaften zu den Samen?

Hans-Joachim und Liane Gruda
(FOTO: Liane Gruda) Hans-Joachim und Liane Gruda lieben den Norden, die Weite und die unberührte Natur Sápmis.

Hannes-Joachim:
Aufgrund meines Grundinteresses am Norden und der samischen Kultur führten mich meine Reisen im Laufe der Jahre immer weiter nach Norden. 1982 waren meine Ehefrau, unser Sohn und ich zum ersten Mal in Sápmi, eigentlich, um zu Wandern und die großartige Natur Schwedisch-Lapplands zu erleben. Dass „da oben“ am Ende Europas eine indigene Bevölkerung lebte, die sich die „Samen“ nannten, war uns nur flüchtig in Reisebeschreibungen begegnet. Und dass deren Siedlungsgebiet „Sápmi“, sehr viel größer als Schwedisch- und Finnisch Lappland ist, weil es sich auch über die norwegische Finnmark und die russische Kola-Halbinsel erstreckt, war damals aus deutschsprachiger Literatur überhaupt nicht ersichtlich.

Diese erste Wanderung nördlich des Polarkreises bescherten uns die ersten Begegnungen mit samischen Rentierhirten im Fjell, in der Bergtundra oberhalb der Baumgrenze. Es war diese Kombination aus Natur und Kultur, die mich und uns sofort in den Bann schlug! Diese Menschen hatten und haben mir und der Welt etwas stark Bewegendes zu sagen: über den Umgang mit der Natur, in der sie leben, und über den Umgang der Menschen untereinander. Ich bin seitdem nicht wieder losgekommen von den Menschen, den Landschaften, von dem “Eins werden“ mit der Natur und dem Leben nach ihren Gesetzen.

Finntastic:
Beherrscht ihr denn auch ein paar der nordischen Sprachen, zum Beispiel auch eine der samischen Sprachen?

Hans-Joachim Gruda in Sápmi
(FOTO: Liane Gruda) Hans-Joachim Grude erhielt von seinen samischen Freunden den samischen Namen „Čuobbu-Hannes“(samisch für Hannes der Frosch)

Hans-Joachim:
Meine Frau und ich haben an der Freien Universität Berlin zunächst Norwegisch gelernt und später Schwedisch, wodurch wir uns in Sápmi schließlich ohne Sprachbarriere bewegen konnten und Zugang zu Fachliteratur über die Geschichte, die Kolonisierung Sápmis, die Religion und die Gegenwartssituation bekamen.

Sápmi und die Samen haben mein Leben verändert. Wir sind dort „hängen geblieben“, mit unserer Seele und unseren Gedanken und so oft und so lange wie möglich auch stets mit persönlicher Anwesenheit.

Eine samische Sprache zu lernen erwies sich dann doch als zu schwer, denn es ist keine indoeuropäische Sprache, sondern finno-ugrisch, also mit dem Finnischen verwandt. Ich kenne aber die Struktur der nordsamischen Sprache, kann schriftliche Texte aus dem Nordsamischen ins Deutsche übersetzen und in Sápmi mit einigen nordsamischen Phrasen „höflich sein“, begrüßen, bedanken, Essen benennen, Begriffe aus der Rentierzucht und das Wetter betreffend anwenden und so weiter.

Und ich habe bei meinen engsten samischen Freunden einen samischen Namen, Čuobbu-Hannes, das ist „Hannes der Frosch“.

Finntastic:
Erzähl mir ein wenig mehr über das KULTURHUS BERLIN. Was genau ist der Schwerpunkt eurer Kulturarbeit?

Hans-Joachim:
Das KULTURHUS BERLIN, das Zentrum für nordeuropäische Kultur und Wissenschaft e.V. (KHB), ist ein gemeinnütziger Verein, der die Förderung von Kultur, Wissenschaft und Bildung zwischen Deutschland und Nordeuropa, einschließlich der Länder der Ostseeregion zum Ziel hat. Er wurde 2003 von Studierenden der Literatur- und Kulturwissenschaft des Nordeuropa-Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin gegründet.

Unser Team arbeitet projektorientiert sowie mit einem großen Netzwerk aus Künstlern, Forschern und anderen an Nordeuropa und der Ostseeregion interessierten Menschen zusammen. Wir organisieren Lesungen, Podiumsdiskussionen, Seminare, Vorträge und Ausstellungen in Zusammenarbeit mit lokalen und internationalen Kooperationspartnern.

Die Teilnahme an Messen sowie weitere Infoständen sind nur einige weitere Beispiele für unsere Arbeit. Unser Nordischer Filmklub zeigt außerdem in Berlin Filme aus dem Norden im jeweiligen Original mit Untertiteln.

Unser Informationsangebot über Nordeuropa ist breit und reicht von Online-Publikationen bis hin zu Printprodukten und Veranstaltungen. Wir wenden uns an ein allgemeines erwachsenes Publikum, aber auch an Studierende und Kinder. Lesungen, Erlebnisse für Kinder mit der nordischen Kultur in der Natur und samische Märchen und Sagen gehören ebenfalls zu unserem Kinderprogramm.

Finntastic:
Für das KULTURHUS BERLIN hast Du jahrelang die Reise zum samischen Wintermarkt nach Jokkmokk organisiert und auch als Reiseleiter begleitet. Erzähl mir ein wenig mehr über dein Ehrenamt beim KULTURHUS BERLIN. Seit wann bist Du mit an Bord?

Die Nationalflagge der Samen
(FOTO: Liane Gruda) Die Nationalflagge der Samen

Hans-Joachim:
Seit 2012 unterstütze ich das KULTURHUS Berlin mit meinen Kenntnissen über „die Samen“ und meiner Leidenschaft für ihre Kultur und Sprache und bringe natürlich auch meine Kontakte nach Sápmi in die Vereinsarbeit ein. Ich bin ein bisschen stolz darauf, wie viele Veranstaltungen des KULTURHUS BERLIN seitdem samische Inhalte haben und dass in unseren Veröffentlichungen im Netz die Samen mittlerweile einen angemessenen Platz als indigene Bevölkerung Nordeuropas bekommen haben.

Toll ist auch, dass neben den Flaggen der nordischen Länder nun auch die Flagge der Samen unsere Info-Stände schmückt. Gerne erinnere ich mich auch an den Auftritt von Sara Margrethe Oskal in Berlin-Kreuzberg. Sie ist samische Schriftstellerin und hatte uns in einem mitreißenden Auftritt mitgenommen, in das samische Leben in den Familien und in die Probleme der politischen und gesellschaftlichen Gegenwart.

Sara Margrethe Oskal sprach und joikte nordsamisch und eine englische Übersetzung wurde hinter ihr an die Wand projiziert – das war sehr authentisch, als säßen wir wirklich in einem samischen Nomadenzelt, der Kåta, rund ums Feuer! Eine Podiumsdiskussion über die Folgen des Bergbaus in Sápmi und (im Vergleich Samen – Sorben) in der Lausitz öffnete vielen die Augen für ein großes Thema der Gegenwart, den Raubbau an den Ressourcen und die Bedrohung einheimischer Kulturen durch unsere Konsumgewohnheiten.

Sara Margrethe Oskal
(FOTO: Liane Gruda) Sara Margrethe Oskal während ihres Auftritts beim KULTURHUS BERLIN

Und die Jojk-Werkstatt mit Simon Issát Marainen im Juni 2016 wurde zum spirituellen, akustischen und kulturellen Erlebnis für hingerissene Teilnehmer. Ja! Das war einer der großen Auftritte des KULTURHUS BERLIN, eine Kooperation mit der Volkshochschule Pankow und unserem Partner in Sápmi, Nils Torbjörn Nutti.

Finntastic:
Das klingt alles sehr spannend. Du warst auch Mitinitiator des großen samischen Kultursommer 2015 der Nordischen Botschaften in Berlin. Erzähl uns ein wenig mehr darüber.

Nordischer Sommer - Kulturfest der nordischen Botschaften
(FOTO: Liane Gruda) Eine samische Kota (Lavvu) beim Samischen Kulturfest 2015

Hans-Joachim:
Aber gerne doch! Für mich persönlich war der Samische Sommer 2015 in Berlin Höhepunkt meiner ehrenamtlichen Arbeit! Ich hatte schon lange die Idee dazu. Im Frühjahr 2014 luden der Vorstand des KULTURHUS BERLIN, meine Frau Liane und ich die damaligen Kulturräte Norwegens, Schwedens und Finnlands sowie die Leiterin des Felleshus, des Gemeinschaftshaus der Nordischen Botschaften zu einem samischen Lunch ein, bei dem wir die ersten (aber schon recht konkreten) Pläne für eine Ausstellung und ein riesiges Rahmenprogramm vorlegten.

Die vier Damen aus dem Norden zeigten sich sofort sowohl interessiert an der samischen Gegenwartskultur, als auch begeistert für die Möglichkeiten, sie in Berlin zu präsentieren und so wurden die damals von mir vorgelegten ersten Entwürfe zur Grundlage für die Planungen der Kulturreferate der Botschaften und letztlich für den Samischen Sommer 2015 in Berlin.

Samischer Sommer 2015 - Kulturfest der nordischen Botschaften
(FOTO: Liane Gruda) Das KULTURHUS BERLIN sowie Hans-Joachim Gruda und seine Frau Liane waren aktiv dabei beim „Samischen Sommer 2015″ im Felleshus der Nordischen Botschaften in Berlin“.

Das KULTURHUS BERLIN bekam damals aus dem Gesamtbudget sogar Mittel, um einen Auftritt mit Ola Stinnerbom mit Joik und Tanz und eine kleinen Joik-Werkstatt zu organisieren. Auf dem großen abschließenden Sommerfest der Botschaften waren wir mit einem sehr repräsentativen Info-Stand und einem großen samischen Lavvu (Zelt) und Lasso Werfen unter Anleitung eines samischen Rentierhirten in seiner prächtigen Tracht vertreten.

Inzwischen hat sich im KULTURHUS BERLIN eine Gruppe von Menschen herausgebildet, die sich für Sápmi und die Samen verstärkt engagieren. Im Sommer 2016 waren zehn Mitglieder, darunter auch zwei Kinder und ich, für eine intensive Woche in Sápmi, weit nördlich des Polarkreises, auf einer gemeinsamen Studienreise.

Hans-Joachim Gruda und Nils Torbjörn Nutti
(FOTO: Liane Gruda) Nils Torbjörn Nutti und Hans-Joachim Gruda in Čohkkiras/Jukkasjärvi:
Vorbereitungen für den Jukkas-Markan – den Samen-Markt in Jukkasjärvi.

Wir waren draußen in der Natur, auf dem Fjell, haben Museen besucht und mit samischen Kulturarbeitern, Politikern und Künstlern gesprochen und diskutiert. Wir haben auch aktiv beim Kulturprogramm des samischen Herbstmarktes in Čohkkiras/Jukkasjärvi mitgemacht. Sehr großzügig unterstützt wurden wir dabei von unserem engsten Freund Nils Torbjörn und seinem samischen Unternehmen Nutti Sámi Siida („Samische Gemeinschaft der Familie Nutti“).

Ich bin schon froh darüber, dass ich „das Samische“ im KULTURHUS BERLIN nun allmählich und behutsam in andere Hände geben kann. Unter anderem sind junge Studierende am Nordeuropainstitut der Humboldt-Universität Berlin richtig intensiv eingestiegen!

Finntastic:
Das freut mich zu hören. Auf eurer Website www.homo-peregrinus.de haben Deine Frau und Du außerdem ganz viele Informationen über die Kultur der Samen zusammengetragen. Was hat euch zu dem Internetauftritt motiviert?

Samische Tracht
(FOTO: Liane Gruda) Die Farben der samischen Tracht stehen für die vier Elemente, Luft, Sonne, Erde und Wasser.

Hans-Joachim:
Die Internetseite www.homo-peregrinus.de war einmal der Auftritt unseres kleinen Reisebüros gleichen Namens, das meine Frau Liane und ich sieben Jahre lang erfolgreich betrieben haben; heute ist das ein ganz „privater“ Auftritt.

Im Laufe der Jahre, in denen wir (meine Frau, zehn Jahre lang auch unser Sohn, und ich) zu allen Jahreszeiten in Sápmi zu Fuß und auf Skiern unterwegs waren, haben wir Menschen kennengelernt, von denen einige zu Freunden wurden. Die meisten von ihnen sind Samen und durch sie gerieten wir immer tiefer in die samische Gesellschaft, sie nahmen uns sozusagen mit in ihr Leben und in ihre Familien.

Wir durften dabei sein, wenn die Rentiere im Frühsommer im Fjell gesammelt werden, um die Kälber zu markieren. Wir waren auch im Herbst zur großen Zählung und Schlachtung dabei und im Winter zur Scheidung der großen Herden in die kleineren Gruppen für die Winterweide im Flachland in den Wäldern.

Bei der Kälbemarkierung
(FOTO: Liane Gruda) Hans-Joachim Gruda und Nils Torbjörn Nutti: Vorbereitungen für die Kälbermarkierung.

Wir übernahmen Aufgaben und halfen im Alltag und wir waren bei großen und kleinen Familienereignissen dabei: Hochzeit, Taufen, Geburtstagsfeiern, Beerdigungen. Mein Interesse an der samischen Kultur und an der samischen Art zu denken und zu leben ist nicht aus einem formalisierten Studium oder dem Lesen von Büchern entstanden, sondern durch „das Leben“ selbst.

Aus Bekannten wurden Freunde und für unsere engsten Freunde in Sápmi sind wir nun Familienmitglieder. Ich verdanke diesen Menschen viel. Im Leben Balance zu finden zwischen dem Akzeptieren und Achten dessen, was ist und was geschieht und dem Bemühen, mit eigenem Handeln aktiv beizutragen zu einer Welt, in der es morgen ein klein bisschen besser ist, als es gestern war – das habe ich  von meinem Vater in der Kindheit und als Erwachsener von meinen samischen Freunden mit auf den Weg bekommen.

Hans-Joachim Gruda während der Kälbermarkierung
(FOTO: Liane Gruda) Hans-Joachim Gruda und seine Frau Liane unterstützen regelmäßig Freunde in Sápmi bei der Kälbermarkierung.

Finntastic:
Und wie entstand die Idee dazu, ein Reisebüro zu gründen?

Hans-Joachim:
Als wir mit der Touristik begannen, waren es zuerst nur samische Familienunternehmen, die wir vermarkteten und erst unter dem Zwang der Gewerbeordnung und des Steuerrechts nahmen wir andere Produkte, zum Beispiel Hundeschlittentouren, ins Programm und schließlich Reisen in den ganzen Norden, zwischen Reykjavik und Murmansk, zwischen Svalbard (Spitzbergen) und Ystad. Unser Schwerpunkt blieb aber immer Sápmi – vor allem in unseren Herzen.

Wir haben im Rahmen unseres Marketings viele Info-Stände auf Messen und Straßenfesten betrieben, Veranstaltungen mit Lichtbildvorträgen und Musik durchgeführt und Veranstaltungen anderer mit samischen Themen bereichert, zum Beispiel indem wir samische Künstler und Kunsthandwerker nach Berlin gebracht haben.

Mit dem heraufziehenden Alter hatten wir dann im Dezember 2008 beschlossen, unser Reisebüro aufzugeben. Heute vertreten wir das samische Öko-Tourismus-Unternehmen „Nutti Sámi Siida“ mit Marketing in Deutschland.  In jedem Jahr verbringen wir nach wie vor, Sommer wie Winter, viele Wochen in Sápmi, leben bei Freunden, arbeiten in der samischen Touristik und helfen in der Rentierwirtschaft. Und wir gehen noch immer mit Zelt und Wanderstiefeln ins Fjell, um „draußen“ zu sein, in der Weite, der Stille und dem Frieden in der Natur.

Hans-Joachim Gruda und Nils Torbjörn Nutti
(FOTO: Liane Gruda) Gute Freunde: Hans-Joachim Gruda und Nils Torbjörn Nutti

Finntastic:
Was kannst Du uns über das Urvolk Nordeuropas und ihre Kultur erzählen? Wie sind ihre Traditionen? Was macht Sie Deiner Meinung nach einzigartig und besonders?

Hannes:
Die samische Gesellschaft ist vielfältig und „die Samen“, die alle gleich denken und gleich intensiv zu ihren Traditionen stünden, gibt es nicht. Denn je nach Region variieren die Traditionen, Trachten und auch die spirituellen Joikgesänge.

Ich selbst lebe allerdings in einer Art „samischer Blase“, denn die Samen, mit denen ich Umgang habe, wollen bewusst Samen sein und sich dazu bekennen. Das gilt für meinen privaten Bereich und natürlich auch für die Samen, mit denen KULTURHUS BERLIN zusammenarbeitet und die wir nach Berlin bringen. Meine Sicht auf Sápmi und die Samen ist also nicht ganz objektiv.

Das traditionelle Wissen der Samen über Naturerscheinungen, Pflanzen, Tiere, Stille und Bewegung ist reich und wertvoll und erhaltenswert. Was für mich von Bedeutung und Wichtigkeit ist, sind nicht (nicht so sehr) die äußerlich sichtbaren Attribute samischer Kultur, wie die Trachten und der Joik. Es sind die gedanklichen, gefühlsmäßigen, ja philosophischen Hintergründe, aus denen samisches Leben und die Alltagskultur erwachsen.

Und es sind religiöse Aspekte, die das Verhältnis zur Natur, zu den Tieren und zu den Mitmenschen und dem Zusammenleben bestimmen. Die Samen, die bewusst „Samen“ sein wollen, halten sich auch in einer modernen Gesellschaft an Grundsätze der Nachhaltigkeit, der Achtung der Natur und der Schonung von Ressourcen und dies hat seine tiefen Wurzeln in der Vorstellung, dass die Natur beseelt ist und alles Leben auf dem Planeten gleichwertig ist.

Samische Tracht
(FOTO: Liane Gruda) In der Naturreligion der Samen ist die Natur beeselt, genauso wie wir Menschen.

Finntastic:
Kannst Du uns ein paar Beispiele dafür geben, wie die Samen ihren Respekt gegenüber der Natur zum Ausdruck bringen?

Hans-Joachim:
Die indigene Bevölkerung Nordeuropas hat in Jahrtausenden, die sie in Fennoskandinavien siedelt, jagt, fischt, wirtschaftet und lebt, noch keine Tierart ausgerottet. Der Wolf beispielsweise ist Konkurrent der Rentierzüchter, denn er jagt und reißt Rentiere. Aber es wird verstanden, dass er nichts anderes tut, als wir alle anderen auch: Er will sich und seine Nachkommen ernähren und am Leben erhalten. Der Wolf und die Rentierzüchter werden sicher nie Freunde werden, aber sie haben Respekt voreinander.

Noch deutlicher ist dieser Respekt gegenüber dem Bären ausgeprägt, der noch heute von „den Samen“ als würdiger Mitbewohner Sápmis angesehen wird und die Jagd auf ihn ist noch heute von mit Hochachtung gekennzeichneten Ritualen begleitet. Dies sind nur zwei Beispiele. Diese Achtung gilt überall in der Natur.

Wenn wir durch Sápmi reisen, „fragen“ auch wir jedes Mal die beseelte Natur, wo wir unser Zelt an einer bestimmten Stelle aufschlagen dürfen und an welcher Stelle wir Wasser trinken können. Es gibt keine „Umwelt“ als Gegensatz zu unserer Welt der Menschen! Wir Menschen haben unseren Platz auf diesem Planeten als Teil des Ganzen.

Samische Trommel
(FOTO: Liane Gruda) Eine samische Trommel – ein Geschenk von Freunden aus Sápmi

Finntastic:
Und wie würdest Du den Umgang der Samen miteinander beschreiben? Was prägt ihr Zusammenleben?

Hans-Joachim:
Im Zusammenleben der Menschen gelten deutlich andere Regeln und gesellschaftliche Werte, als in der westlichen Gesellschaft. Wichtiger als eine formale Gleichberechtigung ist die „gelebte Gleichwertigkeit“! „Am Ende der Mahlzeit sind alle satt oder es ist niemand satt!“ sagen die Samen, denn jeder ist gleich wert und hat das Recht satt zu werden.

Die Rolle, die jeder Einzelne in der Gemeinschaft hat, ist allen anderen Rollen gleichwertig. Das gilt auch für die „Geschlechterrollen“. Samische Frauen nehmen selbstverständlich teil an den Arbeiten in der Rentierwirtschaft, der Kälbermarkierung und der Rentierscheidung.

Samische Frauen haben aber kein Problem damit, Rollen zu erfüllen, die wir in unserer Kultur als Frauenrollen definieren, weil samische Frauen sich sicher sein können, dass sie als gleichwertig anerkannt sind. Samische Frauen sind stolz, die samische Kultur durch die Jahrhunderte getragen zu haben.

Samischer Schmuck aus Zinndraht und Rentierleder
(FOTO: Liane Gruda) Samische Frauen helfen z.B. bei der Rentierwirtschaft, doch sie tragen auch ihre Tracht mit Stolz. Denn völlige Gleichberechtigung prägt ihre Kultur.

So heißt es in einem Gedicht von Inghilda Tapio (Auszug):

Ja dii dat leimmet

Árrangáttis goikaeame hillagáhkuid

Biebmadeame mánáid

Botnime suonaid

Goarrume sujid

 
. . . und es waren wir,

die an der Feuerstelle saßen und Fladenbrot buken, Kinder wiegten,

Fäden sponnen und

Kleider nähten.

 
Ja mii dat leimmet dat áhkut geat

Áhkaiguin bassiládje gárvodeimmet

Eallima doaluide

 
. . . und es waren wir Frauen,

die wir uns festagsfein kleideten

zu den Festen des Lebens,

zusammen mit den Göttinen

Die samische Gesellschaft lebt im Konsens. “Demokratie” funktioniert nicht durch Mehrheitsentscheidungen bei Abstimmungen, sondern es wird geredet, bis alle der Meinung sind, mit dem Ergebnis leben zu können, auch wenn sie anderer Meinung sind. Deshalb funktionieren die „Sameting“ als Selbstverwaltungsorgane so schlecht, weil sie nichts Samisches sind.

Finntastic:
Was gefällt Dir besonders an der samischen Kultur und Religion und wie hat sie Dein Leben geprägt?

Hans-Joachim:
Die religiösen Vorstellungen der Samen, aber auch der Christen, entsprechen meinen Vorstellungen und Gefühlen von Spirituellem. Die Beseeltheit der Schöpfung, das “sich eins wissen“ mit dem Ganzen, die Deutung des Daseins als etwas Großartiges und Wertvolles – das ist mir weit mehr als ein stupider Glaube an einen einzigen „wahren“ Gott.

Meine Begegnungen, Gespräche und Erfahrungen mit Menschen, die christliche Werte wie Nächstenliebe und Gottesverehrung mit den religiösen Traditionen der Samen vereinen, haben mich in meinen Glaubensvorstellungen gestärkt.  Heine und Goethe haben ihr Übriges beigetragen…

An sichtbarer und hörbarer Kultur fasziniert mich der Joik als Erzählform und Ausdrucksmittel, nicht nur als „Musik“. Aus der Nähe zu einigen Joikern heraus „verstehe“ ich das Erzählte und ich bin oft dabei, wenn das gejoikte „entsteht“, lebendig wird. Ich benutze inzwischen den Joik selbst, um Erlebnisse, Personen und Gefühle in Erinnerung zu behalten oder sie wieder lebendig werden zu lassen.

Das Handwerk ist selbstverständlicher Teil meines Alltags geworden in Gestalt von Messern, Gefäßen, Kleidungsteilen. Und dann ist da das Essen! Draußen in der Natur zu sein, an einem Feuer zu sitzen, Kaffee zu kochen und Rentierfleisch zuzubereiten, das ist „Kultur“ und das machen wir selbst bei uns zu Hause als vollendete Form des Essens.

Unterwegs in Sápmi
(FOTO: Liane Gruda) Sápmi im goldenen Herbstlicht: Unterwegs am Tunturi in Finnland mit Husky Lihkku

Finntastic:
Du selbst hast einmal gesagt: „Eine der größten Bedrohungen für die Samen ist die Gefahr des Vergessenwerdens.“ Warum glaubst Du das? Gibt es andere Gefahren in der heutigen Zeit, denen sich die Samen gegenübersehen? Was kann man tun, damit die Kultur nicht in Vergessenheit gerät?

Hans-Joachim:
In Schweden gibt es das Sprichwort: „Syns du inte, finns dig inte“ – wirst Du nicht gesehen, gibt es dich nicht! Deshalb ist es wichtig, die Samen als indigene Bevölkerung Nordeuropas sichtbar zu machen und ins Bewusstsein zu rücken.

Deshalb werden Menschen wie Du mit Deinem Blog und KULTURHUS BERLIN und ich und viele andere immer wieder Artikel schreiben und veröffentlichen und Informationsveranstaltung organisieren und Samen zu Veranstaltungen einladen.

Es gibt die Geschichte aus Jokkmokk, in der erzählt wird, wie ein hochrangiger Vertreter einer britischen Bergbaugesellschaft wissen wollte, warum es dort Probleme mit den bergbehördlichen Genehmigungen gäbe und ihm erklärt wurde, „it’s about the local people“.

Da soll er entsetzt gefragt haben: „What local people?“ Noch immer sind die indigenen Völker – also auch die Samen – bedroht von kolonialer Ausbeutung ihrer Siedlungsgebiete und der Rohstoffe. Die Nutzung von Land und Wasser durch die indigenen Völker wird in Nachrang gestellt zu den Interessen der Industriegesellschaft.

Die Samen haben noch zusätzlich das Problem, dass sie immer wieder auf „die Rentier züchtenden Nomaden“ reduziert werden und die von den Staaten gewährten Minderheitenrechte nur für Rentierzüchter gelten sollen, obwohl die samischen Lebens- und Wirtschaftsformen schon immer sehr viel vielfältiger waren. Es gibt nämlich auch die Waldsamen, die überwiegend von der Jagd leben oder die Fischersamen, die sich überwiegen durch den Fischfang ernähren.

Heute nehmen Samen und andere indigene Völker teil am internationalen Diskurs über die Zukunft unseres Planeten. Samen sind zum Beispiel vertreten in Gremien der Vereinten Nationen und des Arktischen Rates. Viel ist erreicht, viel ist noch zu tun.

Rentierzüchter folgen ihrer Herde
(FOTO: Liane Gruda): Nicht alle Samen leben ausschließlich von der Rentierzucht.

Finntastic:
Welchen Problemen sehen sich die Samen denn grundsätzlich gegenüber und wie ist die Situation derweil bei Deinen samischen Freunden?

Hans-Joachim:
Die Samen „stören“ beim Erschließen von Rohstoffen und sie „provozieren“ mit ihren Rechten als indigene Bevölkerung Auseinandersetzungen mit der nicht samischen Bevölkerung, was von bestimmten Kreisen populistisch zur Stimmungsmache genutzt wird und zu Alltagsrassismus führt. Landraub und Verweigerung der freien Entfaltung von Kultur und Lebensweise sind die größten allgemein zu formulierenden Probleme.

Samen haben in den Weidegebieten Rechte, die ihnen als Indigene Bevölkerung zustehen und das führt zu Neid und Hass bei den Mehrheitsbevölkerungen. Es kommt immer wieder vor, dass Rentiere – die ja privates Eigentum sind – regelrecht ermordet werden, das heißt, sie werden mit Motorschlitten zu Tode gehetzt oder geschossen und einfach im Wald oder in einem Flusslauf liegen gelassen. Es geht also nicht um „Wilderei zur Fleischbeschaffung“, sondern um Angriffe auf das samische Kultursymbol „Rentier“.

Über diese Vorfälle wurde sogar im überregionalen Fernsehen in Schweden berichtet. Und dann sind da die Kämpfe vor Behörden und Gerichten um die Rechte der Samen an der Nutzung von Land und Wasser. Schwedische Samen prozessieren um ihre ansich gesetzlich garantierten Weiderechte in Norwegen. In Schweden ist der Widerstand gegen neue Gruben immer stärker geworden.

In Finnland bedrohen Zellstoffindustrie und Massentourismus die Rechte der Samen. In Russland finden Erz- und Gasförderung auf samischem Gebiet in großem Umfang statt. Wenn in samischen Gebieten Rohstoffe erschlossen werden sollen, Erze abgebaut werden sollen, Flüsse gestaut werden sollen, Windparks errichtet werden sollen, Wälder für die Holz- und Zellstoffindustrie abgeholzt werden sollen, dann gibt es Widerstand dagegen, der oft auch über die Grenzen Sápmis hinaus Unterstützung findet. Es wird prozessiert, was lange Verzögerungen und Änderungen oder gar Verhinderung der Pläne mit sich bringt. Die Kolonialzeit ist nicht zu Ende!

Finntastic:
Das ist sehr schade, dass die Samen noch immer für den Erhalt ihrer Kultur kämpfen“ müssen. Um so schöner ist es, das das KULTURHUS BERLIN sich für die indigene Kultur starkt macht. Erzähl mir ein wenig mehr über eure Studienreise nach Jokkmokk zum samischen Wintermarkt.

Hans-Joachim:
Die Reisen zum Jokkmokks Marknad, dem samischen Wintermarkt in Jokkmokk haben wir schon als homo peregrinus durchgeführt und als Kulturreisen des KULTURHUS BERLIN haben diese Reisen noch einmal ein ganz anderes Niveau bekommen.

Es waren nicht nur die drei Markttage, die die Reise so wertvoll machten, sondern das vielfältige Rahmenprogramm an den Tagen vor dem Marktbeginn, mit Rentieren, Besuchen bei Samen an deren Feuer im Lavvu, Ausflügen mit Motorschlitten ins winterliche Hochgebirge, meinen Vorträgen und Bildspielen über Geschichte und Kultur der Samen und einem Ausflug mit Hundeschlitten. Und allein das unglaublich gute Essen aus einheimischen Zutaten, dass uns in unserer Unterkunft serviert wurde, war stets die Reise wert!

Hans-Joachim Gruda auf dem samischen Wintermarkt in Jokkmokk
(FOTO: Liane Gruda) Hans-Joachim Gruda organisierte jahrelang beim KULTURHUS BERLIN die Kulturreise zum samischen Wintermarkt in Jokkmokk.

Berichte über die Reisen und die historischen Hintergründe der samischen Märkte gibt es auf unserer Webseite www.homo-peregrinus.de.

Doch die Zeiten ändern sich. Der Mensch im Allgemeinen und auch ich werden älter. Daher kann ich die Kulturreisen des KULTURHUS BERLIN zum Wintermarkt der Samen in Jokkmokk nicht mehr selbst leiten und leider hat sich bislang beim KULTURHUS BERLIN für 2019 auch kein Nachfolger gefunden. Das liegt allerdings nicht an einem Mangel an Interesse, sondern viel mehr an unterschiedlichen familiären und beruflichen Bedingungen.

Samischer Wintermarkt in Jokkmokk
(FOTO: Liane Gruda) Hans-Joachim Gruda und Nils Torbjörn Nutti auf dem samischen Wintermarkt in Jokkmokk, der immer in der Woche um den 6. Februar herum, den Tag der samischen Kultur, stattfindet.

Finntastic:
Und was erwartet den Besucher auf dem samischen Wintermarkt in Jokkmmokk und warum sollte man diesen Ort unbedingt einmal besucht haben?

Seit 1605, also seit über 400 Jahren, in ununterbrochener Reihe, findet der Jokkmokks Vintermarknad vom ersten Donnerstag im Februar einen jeden Jahres für drei Tage statt. Seit dem 400-jährigen Jubiläum ist der samische Wintermarkt noch deutlicher auf dem Weg dahin, ein samisches Kulturfestival zu werden, das übrigens nicht für Touristen gemacht wird und daher mit „Karneval“ überhaupt nichts zu tun. Obgleich die Touristen als Gäste natürlich willkommen sind.

Aus der ganzen Region Sápmi und von weit her kommen die Besucher, auch aus Deutschland. Neben dem samischen Kunsthandwerkermarkt zeigen Ausstellungen und Galerien hochwertiges Handwerk und Kunst, und auf Modeschauen ist modernes samisches Design zu sehen. Vorträge, gesellschaftspolitische Veranstaltungen, Konzerte mit Joik und zahlreiche kulturelle Ereignisse lassen den Wintermarkt zu einem großartigen Erlebnis in der samischen Welt werden!

So gab es in den letzten Jahren Seminare und Vorträge über den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel und die sich aus ihm ergebenden Herausforderungen, zu Genderfragen, über Diskriminierung und Rentierweiderechte und Sprachenprojekte, dazu natürlich die Programme für Kinder, wie die von Elli-Karin Pavval, die samische Märchen auf Lulesamisch erzählt.

Auf dem samischen Wintermarkt in Jokkmokk
(FOTO: Liane Gruda) Auf dem samischen Wintermarkt in Jokkmokk gibt es warme Mützen aus Rentierfell sowie weiteres samischen Kunsthandwerk zu erwerben.

Finntastic:
Kannst du uns einen guten Anbieter für Reisen zum samischen Wintermarkt empfehlen?

Hans-Joachim:
Es gibt ein paar gute kommerzielle Anbieter von Reisen zum Jokkmokks Marknad, die ich aber als Vertreter eines gemeinnützigen Vereins nicht öffentlich empfehlen darf. Aber ich denke Du musst nur etwas im Internet recherchieren, dann wirst Du sicher fündig. Sehr schön ist nach meinem Geschmack eine Reise, die angeboten wird als Kombination mit Skilanglauf und Hüttenunterkunft nur drei Kilometer außerhalb Jokkmokks.

Finntastic:
Gemeinsam mit KULTURHUS BERLIN und Dir ist das Museum Europäischer Kultur in Berlin Dahlem dabei ein neues Projekt zu realisieren. Worum geht es da? Was genau ist geplant?

Hans-Joachim:
Ich muss bescheiden sagen, dass ich und das KULTURHUS BERLIN sehr froh, dankbar und stolz sind, dass wir bei den Planungen und den Arbeiten des Museums dabei sein dürfen. Das Museum Europäischer Kulturen (MEK) in Berlin beherbergt die größte samische Sammlung außerhalb des Nordens. Sie ist zurzeit noch in einem relativ ungeordneten Zustand. KULTURHUS BERLIN hat nun eine Kooperation mit dem Museum Europäischer Kulturen begonnen. Im Zentrum steht im Moment die, in der modernen Museumsarbeit immer bedeutender gewordene Provenienz- bzw. Herkunftsforschung.

Diese dreht sich um die Vergangenheit der Objekte, den Teil ihrer Geschichte, der stattfand, bevor sie im Museum landeten und als ersten Schritt haben drei vom KULTURHUS BERLIN vermittelte und bei uns im Verein engagierte junge Studierende des Nordeuropainstituts der Humboldt-Universität Berlin im ersten Halbjahr 2018 Pflichtpraktika im Museum absolviert, um mit dem Ordnen der Sammlung zu beginnen. Sie haben wertvolle Arbeit geleistet!

Im Anschluss bin ich nun selbst als ehrenamtlicher Mitarbeit einmal wöchentlich im Museum und versuche, meine bescheidenen Beiträge zur Beschreibung der Artefakte und zur Suche nach deren Ursprung zu leisten. Ein Teil meiner Arbeit besteht auch in der fotografischen Dokumentation der Objekte.

Schließlich soll die samische Sammlung einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden. Die Dauerausstellung des Museums Europäischer Kultur soll in den kommenden Jahren erweitert werden und es wird eine samische Sonderausstellung mit Rahmenprogramm mit samischen Künstlern entstehen. Alle Beteiligte sind voller gespannter Erwartung!

Finntastic:
Ein spannendes Projekt und ein toller Einblick in die samische Kultur! Vielen Dank dafür! Hast Du für meine Leser noch einen Geheimtipp für Sápmi? Gibt es Orte dort im hohen Norden, die man unbedingt besuchen sollte, wenn man sich für die Kultur der Samen interessiert?

Nutti Sámi Siida
(FOTO: Liane Gruda) Die Nutti Sámi Siida von Nils Torbjörn Nutti in Jukkasjärvi.

Hans-Joachim:
Besucht unbedingt unseren Freund Nils Torbjörn in Jukkasjärvi/Čohkkiras, 17 km von Kiruna entfernt! Am Ende der Straße Marknadsvägen neben der Alten Holzkirche ist die Nutti Sámi Siida, das Samische Kulturzentrum mit Freilichtmuseum und der Restaurant-Kåta mit samischem Essen aus Rentierfleisch und frischem Fisch wie Saibling. Es gibt übrigens auch vegetarische Alternativen…;)

Es sind auch immer Rentiere dort, zu denen ihr ins Gehege gehen und die ihr füttern und streicheln könnt. Im Winter könnt Ihr kleinere und größere Ausflüge mit Rentierschlitten mit einem samischen Guide machen. Das Personal besteht fast nur aus Samen oder Menschen wie ich, die fest eingebunden sind in das Leben dort.

Rentierfarm der Nutti Sami Siida
(FOTO: Liane Gruda) Zur Nutti Sami Siida gehört auch eine Rentierfarm
Hans-Joachim Gruda und Nils Torbjörn Nutti
(FOTO: Liane Gruda) Nils Torbjörn Nutti und Hans-Joachim Gruda in Čohkkiras/Jukkasjärvi:
Vorbereitungen für den Jukkas-Markan – den Samen-Markt in Jukkasjärvi.

Finntastic:
Und wo in Sápmi gibt es sonst noch interessante Ort, um mehr über die Kultur der Samen in Erfahrung zu bringen?

Hans-Joachim:
„Pflicht“ ist natürlich mindesten eins der bedeutenden Museen für samische Kultur zu besuchen: In Finnland bietet das Museum „Siida Inari“ in Inari in der Inarintie 46 einen tollen Einblick in die samische Kultur.

In Schweden gibt es in Jokkmokk, in der Kyrkogatan 3, das das Ájtte – Svenskt fjäll- och samemuseum, Duottar ja Sámemusea“, das „Silvermuseet“ in Arjeplog sowie das „Härjedalen Fjällmuseum“ in Funäsdalen in der Rörosvägen 30 Und in Stockholm hat das „Nordiska Museet“ im vierten Stock eine gut gemachte Samen-Abteilung ).

In Jokkmokk in der Porjusvägen 4 ist zudem der Sitz der Stiftung “Sámi Duodji“. Dort erhaltet Ihr einen großartigen Überblick über das samische Handwerk – und Ihr könnt euch davon was Schönes als Erinnerung kaufen.

Wenn ihr nach Norwegen reist, besucht unbedingt das „Saemien Sijte Snåsa“ in Snåsa, in der Ella Holm Bulls vei 30 oder das “Riđđo Duottar Museat“ in Karasjok in der Mari Boine geaidnu 17.

Stiftung "Sámi Duodji Sameslöjdstiftelsen"
(FOTO: Liane Gruda) Die Stiftung „Sámi Duodji Sameslöjdstiftelsen“ bietet einen tollen Überblick über das samische Kunsthandwerk.

–> hier geht es zu Interview Teil 2: Über Wanderungen durch Sápmi, Huskyrassen und Huskytouren im Schnee


Über Hans-Joachim Gruda und Seine Frau Liane

Hans-Jachim Gruda und seine Frau Liane
(FOTO: Liane Gruda) Hans-Joachim Gruda und seine Frau Liane

Hans-Joachim Gruda arbeitete 40 Jahre lang als Beamter des Höheren Dienstes in verschiedenen Senatsverwaltungen des Landes Berlin. Doch seine Leidenschaft galt schon immer dem Norden Europas und der samischen Kultur.

Nach seiner Pensionierung im Jahre 2001 eröffnete das Ehepaar Gruda ihr kleines Reisebüro „homo peregrinus“, mit dem sie Reisen in den schönen Norden Europas mit Schwerpunkt Sápmi anboten. Immer wieder waren sie seitdem im hohen Norden unterwegs und haben bereits alle nordischen Länder, Schweden, Norwegen und Finnland, dazu Dänemark, Island, Grönland und Spitzbergen (Svalbard) bereist.

Besonders lieben Gruda und seine Frau Liane, die ein Händchen für schöne Landschaftsaufnahmen hat und die man auf der Website www.homo-peregrinus.de bewundern, kann den schwedischen Teil Lapplands und hier insbesondere die Gegend rund um Kiruna in Nordschweden. Auch ihr damaliger Hund, ein sibirischer Husky, mit dem schönen nordsamischen Namen Čoubbu (Frosch), war bis zuletzt auf zahlreihen Wanderungen und Skitouren mit dem Zelt mit dabei.

Husky Cuobbu
(FOTO: Liane Gruda) Husky Cuobbu war auf vielen Touren durch die Weite Sápmis Hans-Joachim und Liane Grudas treuer Wegbegleiter.

Adoptiert haben Grudas den griechischen Streuner beim Verein „Nordische in Not“. Ihr jetziger Hund Lihkku (Glück) begleitet die Nordfans nun auf ihren Reisen nach Nordeuropa. Auf ihrer Website widmen sich die Grudas besonders der samischen Kultur, ihren Traditionen aber auch den Problemen, denen sich die Samen in der modernen Welt ausgesetzt sehen. Seit 2012 ist Hans-Joachim Gruda zudem für das KULTURHUS Berlin aktiv und hat bereits etliche Reisen zum samischen Wintermarkt nach Jokkmokk organisiert und als Reiseleiter begleitet.

Er war Initiativgeber des großen „Samischen Sommers 2015“, dem Kulturfest der Nordischen Botschaften und des KULTURHUS Berlin. Derzeit engagiert er sich für ein Projekt des Museums Europäischer Kulturen in Berlin Dahlem, bei dem alte samische Artefakte katalogisiert und später in einer Ausstellung im Vergleich zur Gegenwartskultur gezeigt werden.

Gruda hält zudem Vorträge über die Kultur der Samen, zum Beispiel als kurze Einführung für Studierende des Nordeuropa-Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin und wie in diesem Jahr bereits aus Anlass der Filmvorführung des samischen Films „Das Mädchen aus dem Norden“ (Sameblod – saemie vïrre). Und am 15. Januar 2019 konnte man ihn wieder erleben, im Forum Dialog in Berlin-Mitte, zum Thema „Kampf um die göttliche Natur – Zur menschenrechtlichen Lage des indigenen Volks der Samen.


Kontakte:

Hans-Joachim Gruda
www.homo-peregrinus.de

Nutti Sámi Siida AB
Samische ökologische Reisen und Erlebnisse
Hans-Joachim Gruda
+46-(0)70-438 29 07
hans-j@nutti.se
www.nutti.se


Weitere Blogbeiträge zur Kultur der Samen und zu Rentieren:

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