Maria Heiskanen-Schüttler ist Finnin, lebt aber schon lange in Deutschland. Ihre Erfahrungen im Alltag und in der Arbeitswelt in Deutschland, gibt sie auf ihrer Website „Työ Saksassa“** an interessierte Expats und Auswanderer aus Finnland weiter. Sie hält auch Seminare zu berufsspezifischen Themen und ist eine von vier Gründungsmitgliedern von „Finnish Women Worldwide“, einem weltweiten Zusammenschluss von Auslandsfinninnen, die die Vernetzung, den Erfahrungsaustausch sowie die gegenseitige Unterstützung in alltäglichen, aber auch beruflichen Situationen von Finninnen im Ausland fördert.
**Hinweis: Die Website “Työ Saksassa” gibt es nicht mehr. Die Organisation Finnish Woman Worldwide hingegen existiert weiterhin.
Am 7. März organisiert „Finnish Woman Worldwide“ bereits zum zweiten Mal das „Ulkosuomalaisten Naisten Verkostoitumispäivä“, einen Kongress, der in diesem Jahr anlässlich des Internationalen Weltfrauentages (Kansainvälinen Naisten Päivä) in Frankfurt am Main stattfinden wird. Im Interview plaudert Maria mit uns über ihr Leben als Auslandsfinnin in Deutschland, die neue finnische Regierung, die Organisation „Finnish Women Worldwide“, Gleichstellung in Finnland und den anstehenden Kongress in Frankfurt.
Interview mit Maria Heiskanen-Schüttler von „Finnish Women Worldwide“ anlässlich des Kansainvälinen Naisten Päivä
Finntastic:
Hei Maria, hauska tavata. Nett Dich kennenzulernen. Bevor Du uns mehr über den „Ulkosuomalaisten Naisten Verkostoitumispäivä“, also den geplanten Kongress der Auslandsfinninnen in Frankfurt, verrätst, erzähl uns doch kurz, woher aus Finnland stammst Du und wie lange lebst Du schon in Deutschland?
Maria Heiskanen-Schüttler:
Ja gerne! Also ich stamme ursprünglich aus Turku, wohne jetzt allerdings schon seit 14 Jahren in Deutschland. Ich habe Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Marketing in Turku studiert und damals in Berlin 2001/2002 mein Erasmusjahr verbracht. Dort habe ich auch ein Praktikum in einer Agentur absolviert, die damals die Pressearbeit für die Stadt Helsinki gemacht hat. 2006 hat die Agentur einen neuen Mitarbeiter gesucht. Da habe ich mich beworben und wurde angenommen. Das Ganze war also recht spontan. Finnland und vor allem Turku liegen mir natürlich weiterhin schon allein wegen meiner Familie sehr am Herzen. Ich bin dort immer gerne zu Besuch.
Finntastic:
Und wie kommt es, dass es vor allem in Deutschland so viele Auslandsfinninnen gibt? Welche Länder sind noch besonders beliebt unter Finnen und Finninnen?
Maria Heiskanen-Schüttler:
Genaue Zahlen dazu habe ich leider nicht, aber ich habe in Erinnerung, dass rund zwei Drittel der in Deutschland lebenden Finnen Frauen sind. Ich glaube, dass das daran liegt, dass finnische Frauen oft mutiger, offener und reiselustiger sind, als die finnischen Männer. Oft haben sie so auch einen deutschen Partner kennengelernt und sind schließlich in Deutschland geblieben.
Wenn ich an unsere Finnish Women Worldwide-Gruppe denke, leben die meisten Mitglieder in Deutschland, Großbritannien, in den USA, der Niederlande, in Luxemburg, Frankreich und Spanien. Ich vermute, dass liegt daran, dass, es sich in diesen Ländern gut leben lässt und man sich recht einfach in die Gesellschaft integrieren kannst. Viele der europäischen Länder sind auch gar nicht so weit weg von Finnland. Ich denke, das spielt auch eine Rolle.
Finntastic:
Wie schwer ist es Deiner Meinung nach allgemein in einem anderen Land, in einer anderen Kultur Fuß zu fassen?
Maria Heiskanen-Schüttler:
Zunächst einmal ist es grundsätzlich nicht leicht. Es mag einfacher sein, wenn du als Erasmus-Student, so wie ich, zum Studieren in ein anderes Land gehst und ein halbes oder ein ganzes Jahr an der Universität verbringst und mit internationalen Freunden unterwegs bist, durch die Stadt wuselst, die Kulturangebote genießt und dich nach und nach mit der Kultur vertraut machen kannst.
Aber wenn du dann auf lange Sicht in einem Land bist und wirklich Teil der Gesellschaft eines anderen Landes werden willst, ist das bedeutend schwieriger. Ich würde sagen, das Einleben verläuft auf mehreren Ebenen, aber es dauert wirklich Jahre. Es hat auch viel mit Glück und Eigeninitiative zu tun: zum Beispiel, ob du Anschluss, also Freunde und Bekannte findest, eine erfüllende Arbeit und gegebenenfalls auch einen Partner.
Und ich finde, dass dieser Prozess im Grunde auch nie richtig aufhört. Ich lerne auch nach 14 Jahren immer wieder etwas Neues über die deutsche Kultur und dass, obwohl ich schon so lange hier bin. Schließlich ist Deutschland auch keine Einheitskultur. Gerade für Finnen ist es manchmal schwer zu verstehen, dass das Alltagsleben in deutschen Großstädten im Vergleich zu Dörfern oder auch in Süd- und Norddeutschland recht unterschiedlich sein kann. Oder dass die Bundesländer eigene Gesetze haben.
Insgesamt ist der Alltag oft auch gar nicht so rosig wie oft behauptet wird. Denn im Alltag kommst du immer wieder in Situationen, wo du merkst, dass du ein wenig „anders“ bist und das macht das Leben manchmal wirklich schwer.
Finntastic:
Und ist Dir in der Anfangszeit in Deutschland etwas besonders schwer gefallen? Gab es etwas, an das Du Dich erst einmal gewöhnen musstest?
Maria Heiskanen-Schüttler:
Nicht direkt. Für mich war es im Grunde schon zu Beginn etwas einfacher, zum einen, weil ich ein sehr kontaktfreudiger Mensch bin und zum anderen, weil ich schon mein Erasmusjahr in Deutschland verbracht habe. Daher war es für mich in der Anfangszeit in Berlin auch super leicht, mich einzuleben, weil alle, mit denen ich damals in Kontakt war, woanders herkamen. Sogar viele meiner deutschen Freunde, waren keine Ursprungs-Berliner sondern Schwaben. *lacht* Und ich denke als junger Mensch mit zwanzig oder dreißig Jahren begegnest du einfach so vielen Leuten und findest daher auch recht schnell Anschluss. Aber das ist eben nicht immer so.
Für mich war es schließlich nach den acht Jahren im eher weltoffenen Berlin, offen gesagt ein kleiner Kulturschock, als ich aus der Großstadtmetropole aufs Dorf, am Rande von Wolfsburg in Niedersachsen gezogen bin. Da fühlte ich mich das erste Mal in Deutschland wirklich eher als „Ausländer“, aber nicht, weil die Leute nicht offen und gastfreundlich sind. Sondern, weil ich meistens zuhause war, gleichzeitig mit einem Baby zwei- bis dreimal in der Woche nach Berlin zum Studium pendelte und selber vor Ort keinen richtigen Anschluss gefunden habe.
Finntastic:
Wie schwierig ist es denn für Finnen sich mit der deutschen Kultur vertraut zu machen?
Maria Heiskanen-Schüttler:
Grundsätzlich sind beides westliche Kulturen und ähneln sich schon sehr. Daher ist es nicht ganz so schwierig, sich als Finne in Deutschland einzuleben. Anders wäre es sicher, wenn du zum Beispiel von Finnland in ein asiatisches Land, also einen anderen Kulturkreis, auswanderst. Das ist ganz sicher bedeutend schwieriger. Und viele Deutsche haben meistens eine positive Meinung über Finnen und die finnische Kultur. Man erlebt positive Vorurteile!
Finntastic:
Welche Unterschiede hast Du zwischen der deutschen und der finnischen Kultur bemerkt?
Maria Heiskanen-Schüttler:
Zunächst einmal bin ich eher dagegen gewisse Stereotypen in Bezug auf Kulturen zu schüren, denn ich finde, es hängt nicht nur von der Kultur, sondern immer auch von der Persönlichkeit ab, wie ein Mensch ist. Ich selbst bin zum Beispiel eher eine sehr kontaktfreudige und offene Person und passe somit weniger in das Raster des schweigsamen und distanzierten, stereotypischen Finnen.
Aber natürlich gibt es schon ein paar kleine, kulturelle Unterschiede, vor allem in der Kommunikation. Die Deutschen wollen zum Beispiel immer alles bis ins kleinste Detail planen und analysieren. Für den Finnen ist es wichtig das die grobe Richtung, also die Gesamtheit und die zwischenmenschliche Kommunikation stimmen. Im Arbeitsleben wird in Finnland häufig „der nette und passende Typ“ gesucht, in Deutschland der „steinharte Experte“. Deutschen sind eben mehr sachorientiert… und insgesamt mehr sachlich.
Außerdem sind Deutsche viel mehr geradeheraus, als wir Finnen. Kritik wird in Deutschland direkt geäußert. In Finnland ist alles immer etwas in Watte gepackt und es wird auch viel mehr positives Feedback gegeben. Oft versuchen Finnen eher durch die Blume zu sagen, dass sie etwas nicht gut finden. Und gerne vermeiden sie auch schwierige Gesprächsthemen und Konfliktpunkte oder nehmen manche Diskussionen schon als Konflikt wahr, weil der Ton so direkt ist und sie das nicht gewöhnt sind. In der Argumentationskunst sind die Deutschen den Finnen echt meilenweit voraus. *lacht*
Und natürlich gibt es auch Unterschiede im Humor. Der Finne nutzt gerne Ironie und auch Sarkasmus, was oft als Scherz dient und gar nicht böse gemeint ist. In Deutschland wird das leider oft nicht verstanden und eher als Beleidigung empfunden, weil man sich eben an den Wörtern orientiert und nicht versteht, was eigentlich damit zwischen den Zeilen gesagt werden soll.
Finntastic:
Wie einfach war es für Dich Deutsch zu lernen? Oder hast Du Deutsch schon in der Schule Deutsch gelernt?
Maria Heiskanen-Schüttler:
Ja genau, ich habe bereits in der Schule Deutsch gelernt. In Finnland lernen die Kinder von klein auf mehrere Sprachen, wie English, Schwedisch, Russisch, Französisch oder Deutsch, weil wir eine kleine Nation sind und jeder weiß, dass man im Ausland oft mit Finnisch nicht weiterkommt. Daher habe ich mit 14 Jahren mit Deutsch angefangen. Aber einfach ist es für Finnen nicht, die deutsche Sprache zu lernen.
Das liegt schon allein an der fremden Sprachstruktur, denn Finnisch ist nicht mit den germanischen, sondern mit den finno-ugrischen Sprachen verwandt, wie Ungarisch und Estnisch. Und mit Schuldeutsch kommst du im Alltag und Beruf nicht weit. Meist bleibt nach Jahren in Deutschland auch ein finnischer Akzent, selbst wenn du die andere Sprache mittlerweile richtig gut beherrschst. So ist es bei mir auch. Zum Glück sagen viele Deutschen, dass es sympathisch ist. Vielleicht sind sie aber auch nur höflich. *lacht*
Und meist ist das Vokabular auch nicht so breit wie bei einem Muttersprachler. Allerdings kann jeder an seinem Akzent arbeiten und das bezahlt sogar die Krankenkasse. Für viele Finnen kann das Lernen einer anderen Sprache allerdings zu einer echten Herausforderung werden, weil wir Finnen oft perfektionistisch veranlagt sind und erst sprechen wollen, wenn wir es richtig gut können. Dabei ist es wichtig von Anfang an zu sprechen, um die Sprachfertigkeit in der Fremdsprache zu festigen, egal, ob du Fehler machst. Denn aus Fehlern lernt du.
Interessant ist es auch, dass es mir nach 14 Jahren in Deutschland noch öfters passiert, dass ich mitten im Satz eine Art Sprachblockade habe und ich überlegen muss in welcher Sprache ich gerade rede und was ich sagen will. Oft kommt es dann auch vor, dass ich verschiedene Sprachen mixe. Und lustig ist, dass ich mit einigen guten Freunden, die auch schon lange in Deutschland leben, oft einen regelrechten Sprachmix aus Finnisch, Deutsch und Englisch beim unterhalten nutze. Aber so lange wir uns verstehen, ist das überhaupt kein Problem! *lacht*
Finntastic:
Seit Dezember 2019 hat Finnland mit Ministerpräsidentin Sanna Marin eine 34-jahre junge Frau an der Spitze der Regierung. Und auch das gesamte Kabinett verzeichnet einen Frauenüberschuss. Für viele Medien und die Menschen außerhalb Finnlands war das eine Sensation.
Wie waren die Reaktionen in Finnland auf die Ernennung Sanna Marins zur finnischen Ministerpräsidentin und zur neuen “Frauenpower” der Regierung? Was denkt speziell die jüngere Generation darüber?
Maria Heiskanen-Schüttler:
Da ich selbst schon lange Zeit nicht mehr in Finnland lebe, ist es für mich etwas schwierig, zu dieser Diskussionskultur eine genaue Einschätzung zu geben. Ich glaube aber, dass es auch in Finnland zunächst eine Überraschung war, dass es alles Frauen sind. Aber es war für uns Finnen trotzdem eher normal und nichts Ungewöhnliches. Denn Finnland hatte bereits mit Tarja Halonen von 2000 bis 2012 zwölf Jahre ein weibliches Staatsoberhaupt.
Und mit Anneli Jäätteenmäki von der Zentrumspartei hatte Finnland von April bis Juni 2003 sogar schon vor Sanna Marin eine weibliche Ministerpräsidentin, die ihr Amt leider sehr kurzfristig wieder abgeben musste. Für uns Finnen ist es grundsätzlich somit nicht ungewöhnlich Frauen in höheren politischen Ämtern zu haben. Ich finde viel mehr, dass die junge Regierung für einen Generationenwechsel steht. Dass sie Frauen sind, ist schön, aber am Ende Zufall.
Und natürlich wurde auch in Finnland darüber debattiert, ob sie auch genug Erfahrung haben. Aber dann haben sich eben viele wiederum gefragt, warum dasselbe nicht gefragt wurde, als Jyrki Katainen mit 37 damals 2011 das Amt des Ministerpräsidenten übernahm. Und warum man das jetzt bei Sanna Marins Ernennung zur Debatte stellt und ob es nicht daran liegt, dass sie eine Frau ist. Unter den jungen Finnen ist es jedenfalls richtig gut angekommen, dass die Regierung so jung und weiblich ist. Und ich denke, damit hat auch keiner der jungen, modernen Männer in Finnland ein Problem.
Finntastic:
Und wie kommt es, dass Finnland Vorreiter in der Europäischen Union in Bezug auf die Gleichstellung von Frau und Mann ist und, dass Frauen bereits seit Langem viele hohe Ämter in Wirtschaft und Politik bekleiden?
Maria Heiskanen-Schüttler:
Der Ursprung liegt zum einen in der Geschichte Finnlands. Finnland war das erste europäische Land, das bereits 1906, also sehr früh im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, Frauen das aktive und passive Wahlrecht zusprach. Deshalb ist Finnland vermutlich in puncto Gleichstellung vielen anderen europäischen Ländern, wie Deutschland, auch stets einen Schritt voraus. Und deshalb gibt es in Finnland auch schon lange viele Frauen in höheren politischen Ämtern und in Führungspositionen in der Wirtschaft. Finnland ist unter den nordischen Ländern allerdings trotzdem nicht der Spitzenreiter, da haben die anderen nordischen Länder wie Schweden oder Norwegen die Nase vorn.
Dass Finnland so weit in der Gleichberechtigung ist, hängt aber nicht nur mit der Geschichte, sondern auch eng mit der Tradition zusammen. Denn in Finnland ist es schon lange üblich, dass Frauen arbeiten gehen. Finnland hat ein anderes Verständnis von der Stellung der Frau in der Gesellschaft, als es in Deutschland oder vielen anderen zentraleuropäischen Ländern der Fall ist, wo das Bild der Hausfrau noch viel mehr verbreitet ist. Doch auch das ändert sich natürlich immer mehr. In Finnland wird es im Gegensatz zu Deutschland allerdings eher kritisch hinterfragt, wenn eine Frau sich dazu entscheidet wegen der Kinder zu Hause zu bleiben. Das ist natürlich auch nicht optimal, denn jeder sollte über sein Leben selbst entscheiden.
Finntastic:
Was machen die Finnen in puncto Gleichstellung Deiner Meinung nach besser bzw. anders, als die Deutschen?
Maria Heiskanen-Schüttler:
Erst einmal ist die Gleichstellung bereits in der Sprache verankert. Das Personalpronomen „hän“ ist nämlich geschlechtsneutral und wird stellvertretend für beide Geschlechter verwendet. Es gibt also kein sie oder er. Und auch bei den Berufsbezeichnungen gibt es für Frauen und Männer nur einen Begriff, der für beide genutzt wird. Und wenn man zum Beispiel an die Gleichstellung im Arbeitsleben denkt, dann ist durch die Kindergärten- und Krippenplätze einfach die nötige Infrastruktur vorhanden, die es Frauen ermöglicht, recht schnell nach der Geburt wieder arbeiten gehen zu können.
Denn wenn nur geredet wird, dass genügend Betreuungsplätze da sein müssen, in der Realität, aber das nötige Gesetz und die Infrastruktur fehlen, dann ist es am Ende meistens wieder die Frau, die zu Hause bleibt, weil der Mann oft besser verdient. Denn Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es auch in Finnland noch immer, allerdings nicht mehr so stark wie in Deutschland. Gerade hat Finnland übrigens auch ein Gesetz verabschiedet, dass allen Elternteilen unabhängig von ihrem Geschlecht die gleiche Elternzeit zuspricht. Schweden hat das übrigens schon eine ganze Weile, was gut ist.
Und was auch ein entscheidender Faktor ist: In Finnland sieht man Kinder nicht vorrangig als Problem für den Arbeitsmarkt, sondern vor allem als Investition in die Zukunft. Das wird darin deutlich, dass du in Deutschland im Vorstellungsgespräch, wenn du eine junge Frau bist, oft nach Kindern gefragt wirst oder wie die Familienplanung ausschaut, obwohl das eigentlich gar nicht erlaubt ist. Und man kann davon ausgehen, dass die Antwort negativ in den Auswahlprozess einfließen wird. In Finnland spielt diese Frage, weil die Kinderbetreuung eben grundsätzlich gewährleistet ist, kaum eine Rolle.
Und was in Deutschland oft auch anders im Vergleich zu Finnland ist: in Deutschland machen viele Frauen meistens vom Studium oder von der Arbeit eine Babypause, wenn das Kind da ist. Ich hingegen habe eine Babypause von der Arbeit gemacht und in der Zeit ein Masterstudium gemacht. *lacht* Meine Tochter hat in dem Kinderzimmer der Freien Universität Berlin krabbeln gelernt. Es hat auch gut gepasst, da ich Zukunftsforschung studiert habe. Für Finninnen ist sowas ganz normal. Es gibt in Finnland auch Tendenzen zu mehr Interdisziplinarität: in vielen Berufsfeldern gibt es mehr Quereinsteiger und oft auch mehr Querköpfe… so wie ich… *lacht*
Finntastic:
Du bist selber Mutter. War es für Dich in Deutschland schwieriger nach der Geburt Deiner Kinder wieder arbeiten zu gehen, als es in Finnland der Fall gewesen wäre? Oder war es für Dich einfach, beides miteinander zu verbinden?
Zunächst einmal ist es wichtig zu unterstreichen, dass ich nicht allein erziehend bin. Daher finde ich es sinnvoller zu fragen, wie hat es die Familie geschafft. Mein Mann und ich sind beide für die Kindererziehung verantwortlich und nicht nur ich als Frau allein. Und ich kann zumindest für mich sprechen: Kindergärten in Niedersachsen sind super. Ich habe da nichts zu bemängeln, denn meine Kinder hatten immer einen wunderbaren Kindergartenplatz, wo ich sie bedenkenlos lassen kann, wenn ich arbeiten gehe. In Berlin dagegen war es in puncto Kinderbetreuung eher wilder Westen.
Dass es in Wolfsburg genügend Kindergärten- und Krippenplätze gibt, ist allerdings wohl eher eine Ausnahme, weil die Stadt und vor allem das Bundesland so wohlhabend sind. Vermutlich hat nicht jedes Bundesland oder jede Stadt diese finanziellen Ressourcen. Zumindest gibt es in Deutschland mittlerweile einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. In Finnland war das zwischenzeitlich nicht so. Das hat sich aber letztes Jahr wieder geändert. Allgemein denke ich, ist es immer eine Herausforderung für Eltern, die Kinderbetreuung zu organisieren, damit beide arbeiten gehen können, egal ob in Finnland oder in Deutschland. Wenn allerdings die nötige Infrastruktur da ist, ist es eben viel einfacher!
Was ich an Deutschland ebenfalls gut finde ist die Nachmittagsbetreuung an vielen Schulen, die teilweise besser als in Finnland ist. Denn in Finnland erwartet man von Kindern ab einem Alter von acht oder neun Jahren eher, dass sie auch die Nachmittage alleine bleiben können. In Finnland lernen Kinder recht früh, selbstständig zu sein. Sie werden nicht überall mit dem Auto hinkutschiert, wie es in Deutschland oft der Fall ist. So eine Selbstständigkeit erwartet man eben in Deutschland nicht unbedingt. Die Kinder in Deutschland werden daher oft bis zu einem Alter von elf oder zwölf Jahren auch nachmittags betreut.
Und auch die Einstellung des Arbeitgebers in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielt meiner Meinung nach eine wichtige Rolle. Ich habe wirklich Glück mit meinem jetzigen Arbeitgeber. Da läuft alles sehr familienfreundlich und ein krankes Kind oder ein Termin zur Schulanmeldung um 11 Uhr ist kein Weltuntergang. Schließlich hat man einen Laptop und kann auch von zu Hause arbeiten.
Finntastic:
Kommen wir zu eurem Zusammenschluss „Finnish Women Worldwide“ und eurem Kongress, dem „Ulkosuomalaisten Naisten Verkostoitumispäivä“. Erzähl uns ein wenig über euch. Wie kamt ihr auf die Idee zu eurem Event?
Maria Heiskanan-Schüttler:
Unsere Organisation ist kurz gesagt ein Zusammenschluss von Auslandsfinninnen. Wir bringen grenzüberschreitend Akteure und Aktive zusammen und ermöglichen den Gedankenaustausch bei Seminaren und Veranstaltungen, zu unterschiedlichen Themen, wie beruflichen Dingen, der Anpassung in die fremde Kultur und Gesellschaft oder auch zur Sprachentwicklung der Kinder. Unsere Finnish Woman Wordwide-Community unterstützt finnische Frauen auch intensiv bei ihren Herausforderungen, unabhängig von ihrem Wohnsitzland oder Alter, und ermutigt sie, sie sich als wichtige Ressource für das Berufsleben und das Leben im Ausland zu betrachten. Wir arbeiten auch mit mehreren finnischen Organisationen und Unternehmen zusammen.
Die Idee einer Veranstaltung für finnischen Frauen weltweit wurde im Frühjahr 2019 in unserer Facebook-Gruppe geboren. Sofort fanden sich einige Organisatorinnen aus vier verschiedenen Ländern zusammen, die verrückt genug waren in drei Monaten einen Kongresstag zusammenzustellen. Unser erstes Seminar in Rotterdam im Juni 2019 war ein großer Erfolg. Alle haben sich fleißig vernetzt und sich zu vielen Aspekten des Arbeitens und Lebens im Ausland ausgetauscht. Nach der Veranstaltung setzte sich ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl fort und die Beziehung zu den anderen Teilnehmern blieb bestehen. Viele Teilnehmer der ersten Veranstaltung werden auch zum diesjährigen Kongress anwesend sein, der übrigens am 7. März 2020 in Frankfurt am Main stattfinden wird.
In Zukunft möchten wir außerdem eine Gemeinschaft sein, durch die das Fachwissen von Expat-Finnen seinen Platz in der finnischen Debatte finden kann. Deshalb möchten wir unseren Zusammenschluss auch zu einer offiziellen Organisation weiterentwickeln, die dann auch in verschiedenen Ländern agieren kann. In unserer Finnish Woman Worldwide-Facebookgruppe sind wir schon fast 2.000 Frauen, d.h. natürlich nicht, dass alle auch Mitglied in unserer Organisation sind oder werden. Aber wir werden täglich mehr. Das freut uns natürlich sehr. Und natürlich freuen wir uns auch immer über neue Mitglieder.
Finntastic:
Und welche Themen werden auf eurem Kongress in diesem Jahr auf der Agenda stehen?
Maria Heiskanen-Schüttler:
Es wird wieder eine bunte Mischung an ganz vielen unterschiedlichen Vorträgen geben, zum Beispiel, wie man es schafft, mit den täglichen Herausforderungen im Alltag und im Arbeitsleben im Ausland klar zukommen, ohne dass man ein Burnout bekommt. Ein Thema wird auch die Sprachentwicklung, also die mehrsprachige Erziehung von Kindern sein, und der Berufsalltag wird aus mehreren Perspektiven betrachtet. Zum Beispiel, wie man Intuition intelligent im Berufsleben nutzen und einsetzen kann. Und es wird zu allen Vorträgen auch einzelne Workshops geben, weil uns vor allem auch der Erfahrungsaustausch unter einander wichtig ist.
Beim ersten Kongress, der übrigens letztes Jahr im Juni 2019 in Rotterdam stattfand, waren wir bereits 60 Teilnehmerinnen. In diesem Jahr haben sich 90 Frauen angemeldet. Zusammen mit den Referentinnen und Organisatorinnen werden wir dann zirka 100 Personen sein, die in diesem Jahr in Frankfurt zusammenkommen. Größer wollen wir aber erst einmal nicht werden, damit die persönliche Atmosphäre erhalten bleibt.
Bereits im vergangenen Jahr war diese beim Kongress in Rotterdam wirklich toll. Das ganze Event war nicht nur eine sehr informative Veranstaltung, sondern es gab auch fruchtbare Diskussionen zu vielen verschiedenen Themen, die nicht nur in den Seminaren sondern auch zwischendurch in den Pausen weiter liefen. Am Ende des Kongresstages sind wir dann sogar alle gemeinsam in die Sauna gegangen und haben danach nett zusammengesessen, gegessen und auch noch ein wenig weiter diskutiert.
Finntastic:
Wirst Du selbst auch ein eigenes Seminar auf dem Kongress halten?
Maria Heiskanen-Schüttler:
Ja, ich werde den Kongress mit einem Seminar zum Thema „Arbeitsleben in Deutschland“ eröffnen. Darin werde ich viel über Kommunikation reden, wobei für mich eher die Nuancen im Mittelpunkt stehen werden, die auf feinerer Ebene ablaufen. Viele von uns bringen dazu auch langjährige Erfahrung aus dem deutschen Berufsalltag mit. Wir werden daher auch intensiv gemeinsam über viele Aspekte diskutieren. Durch einen konstruktiven Austausch kann jeder etwas für sich mitnehmen und vielleicht stellt der ein oder andere auch fest, dass er mit der ein oder anderen Erfahrung nicht ganz allein ist.
Wichtig ist mir in all meine Seminaren und auch in meinem Blog, dass eine kulturelle Polarisierung und gewisse Stereotypen vermieden werden, denn es gibt eben nicht das eine Deutschland, die eine Firmenkultur, den typischen Chef oder einen bestimmten Typ von Kollegen. Menschen sind von Natur aus verschieden, das hängt oft auch vom geografischen Ort ab, also ob du dich im Norden, Süden, Osten oder Westen des Landes befindest ab. Das ist übrigens in Finnland ähnlich. Grundsätzlich hängt das Kommunikationsklima in einem Unternehmen aber immer mit der Firmenkultur zusammen. Ich bin derzeit zum Beispiel in einer Firma angestellt, die eine sehr skandinavische, also hierarchielose Firmenkultur besitzt. Da ist es natürlich recht einfach, sich wohl zu fühlen. Denn es herrscht ein angenehmes Kommunikationsklima und damit auch Miteinander.
Finntastic:
Du betreibst die Website „Työ Saksassa“. Erzähl uns doch ein wenig darüber. Worum geht es, welche Dienstleistungen für Auslandsfinnen und -finninnen bietest Du dort an?
Maria Heiskanen-Schüttler:
Zunächst war die Website bzw. mein Blog „Työ Saksassa“ eher ein Hobby. Ich habe geschrieben, wenn ich Zeit hatte. Der ursprüngliche Gedanke war, Finnen die im Ausland leben und arbeiten zu helfen und ihnen einen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen, im Grunde ähnlich wie mit unserer Organisation „Finnish Women Worldwide“. Du findest auf meinem Blog zum Beispiel einige interessante Interviews rund um den Berufsalltag und das Leben im Ausland. Es gibt aber auch viele informative Artikel, wo ich meine und die Erfahrungen anderer zu unterschiedlichen das Leben im Ausland betreffenden Themen zusammengestellt habe.
Darüber hinaus betreibe ich die Facebook-Gruppe „Työpaikat Saksassa“, mit mehr als 2.400 Mitgliedern, die ganz konkrete Stellenangebote anbietet und auch eine Art Plattform zum direkten Erfahrungsaustausch über das Berufsleben für Auslandsfinnen und Auslandsfinninnen in Deutschland sein soll. Seit Anfang des Jahres habe ich mein Konzept außerdem ein wenig weiterentwickelt und plane künftig unter anderem auch Webbasierte Gruppencoachings zu beruflichen Themen anzubieten.
Darüber hinaus habe ich auch einige E-Bücher zu unterschiedlichen die Jobsuche in Deutschland betreffenden Themen geschrieben, zum Beispiel, wie man ein gutes Bewerbungsschreiben oder einen Lebenslauf verfasst. Ich würde mich freuen, wenn ich in Zukunft öfters zu Aspekten wie zu Deutsch-finnische Beziehungen, dem Schulsystem, zu Gleichberechtigung, aber vor allem auch das Arbeitsleben im Ausland betreffenden Themen referieren könnte.
Finntastic:
Eine tolle Idee! Vielen Dank für das spannende Interview! Ich wünsche Dir viel Erfolg, beim der Umsetzung Deiner neuen Ideen und euch natürlich auch ganz viel Freude und einen regen Erfahrungsaustausch auf eurem Kongress in Frankfurt.
Maria Heiskanen-Schüttler:
Vielen Dank Inken, es war schön, dass ich ein wenig über mein Auslandsdasein in Deutschland, über „Finnish Women Worldwide“ und unseren Kongress erzählen konnte. Vielleicht finden sich ja noch ein paar interessierte Auslandsfinninnen, die Lust haben, sich unserer Organisation anzuschließen!
Über Maria Heiskanen-Schüttler
Maria Heiskanen-Schüttlers Heimatstadt ist Turku am Aurajoki, Finnlands ältestes Stadt im Südwesten des Landes, wo sie Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Marketing studierte. Seit 2006 lebt Maria in Deutschland, wo sie auch vier Jahr lang als Pressereferentin für die Finnische Botschaft in Berlin arbeitete. Heute ist Wolfsburg ihre Wahlheimat. 2013 begann sie ein weiterführendes Masterstudium mit dem Schwerpunkt Zukunftsforschung an der Freien Universität in Berlin, dass sie 2016 erfolgreich abschloss.
Im Internet betreibt Maria zudem das Internetportal “Työ Saksassa“**, mit dem sie Finninnen und Finnen rund um die Jobsuche in Deutschland Unterstützung anbietet. Außerdem gibt sie Workshops und Seminare zu berufsalltäglichen Themen für Auslandsfinnen und andere Expats, zum Beispiel auch Seminare für Unternehmen.
Maria ist außerdem eine der vier Gründungsmitgliedern der Organisation „Finnish Women World Wide“ (FWW) und wird auf dem diesjährigen Kongress, dem „Ulkosuomalaisten Naisten Verkostoitumispäivä“, der anlässlich des Internationalen Weltfrauentages dieses Jahr am 7. März 2020 in Frankfurt stattfindet, einen Workshop zum Thema „Arbeitsleben in Deutschland“ halten. Mehr Informationen dazu und auch zur Anmeldung gibt es auf der Website von Finnish Woman Worldwide.
**Hinweis: Die Website “Työ Saksassa” gibt es nicht mehr. Die Organisation Finnish Woman Worldwide hingegen existiert weiterhin.
Mehr davon – also den Überlegungen zum “ewigen” Prozess des Ankommens. Nicht negativ verstanden, sonder als Teil der positiven eigenen Entwicklung und Selbstfindung. Die Hinderlichkeit der Stereotypen und die Lust im Anderen, anfangs vielleicht Seltsamen das Gemeinsame und das gegenseitig Lernen zu finden. Oft versteht man sich und den Hintergrund der eigenen Beweggründe sehr viel besser, wenn man sie vorurteilslos im Spiegel der neuen Umgebung betrachtet. Dazu braucht es noch nicht mal einen Länderwechsel. Schon innerhalb eines Landes, ja einer Region, kann man sich “die mythischen Hörner abstoßen”, die Vielfalt und Gemeinsamkeit von eigenem Verhalten und dem der neuen Umgebung entdenken und genießen lernen.