Jaakko Blomberg ist Stadtaktivist, sozialer Innovator und Initiator vieler urbaner Projekte in Finnlands Hauptstadt, wie des Helsinki Sauna Days. Eines Tages fiel ihm auf, dass Helsinki an vielen Orten, zum Beispiel auch im Stadtteil Pasila, dringend einen Farbanstrich nötig hätte. Besprühte Häuserfassaden und Graffitis, wie er es aus London oder Berlin kannte, gab es in der finnischen Hauptstadt zu dieser Zeit nicht. Selbst Kallio, früher Arbeiterviertel, heute ein belebter Stadtteil mit vielen Studenten und Künstler, wirkte ziemlich trist. So kam er auf die Idee: Mehr Street Art und Graffiti muss her! Ich habe mich mit Jaakko über seine Organisation Helsinki Urban Art und seine Street-Art und Graffiti-Projekte unterhalten.
Der Pasila Street Art District und die Helsingin Taidekatu – Interview mit Jaakko Blomberg von Helsinki Urban Art
Finntastic:
Moi Jaakko, super, dass Du Dir Zeit für ein neues Interview auf meinem Blog nimmst. Im letzten Interview haben wir bereits über einige tolle Projekte von Dir gesprochen, zum Beispiel über den Helsinki Sauna Day. Der fand im März gerade erst wieder statt. Wie war denn die Resonanz in diesem Jahr?
Jaakko:
Der Helsinki Sauna Day ist auch in diesem Jahr wieder super angekommen. Es haben rund 50 Saunen mit gemacht und alle waren rappelvoll! Auch mehrere Saunen in Espoo und sogar Saunen aus Deutschland und Japan haben mitgemacht. In Japan leben anscheinend einige saunaliebende Finnen. Und Tarja, eine Bloggerkollegin von Dir hat über den Helsinki Sauna Day und ihr Erlebnis in einer der deutschen Saunas berichtet.
Finntastic:
Stimmt den Artikel von Tarja habe ich auch schon gelesen. Super, dass das Event mittlerweile über die Grenzen Finnlands hinaus so großen Anklang findet. Doch nun zu Deinen Street Art Projekten. Mit Deiner Organisation „Helsinki Urban Art“ hast Du gemeinsam mit internationalen Künstlern im Helsinkier Stadtteil Pasila Street Art und zahlreiche Graffitis realisiert. Pasila hat sich dadurch buchstäblich zum „Street Art District“ von Helsinki gemausert. Wie entstand die Idee dazu?
Jaakko:
Ich habe 15 Jahre lang in der Nähe von Pasila gewohnt. Der Stadtteil ist in den 1970er-Jahren gebaut. Es gibt dort viele Straßen mit zweistöckigen Plattenbauten und damit viele triste, graue Wände, die sich prima für Street Art und Graffiti eigenen. Eigentlich gab es vor Jahren die Idee, in Pasila ein neues, belebtes Stadtzentrum zu erschaffen, aber das hat nicht funktioniert. Bis auf das Messezentrum und die Pasila-Hauptbibliothek gibt es leider nicht wirklich viel Action und Kultur vor Ort. Wir haben uns deshalb überlegt, die Wände der Häuser im Stadtteil könnten einfach einen Farbanstrich vertragen, das würde auch mehr Menschen in den Stadtteil locken und ihn damit attraktiver und lebendiger machen.
Zunächst haben wir ganz ohne Kulturförderung begonnen. 2016 haben wir dann im Rahmen des finnischen Jubiläumsjahres „Suomi 100“ nach Partnern Ausschau gehalten, weil wir fanden, dass der runde Geburtstag der Republik Finnland eine tolle Möglichkeit ist, Street Art und Graffiti auch in Finnlands Hauptstadt mehr salonfähig zu machen. Und so haben wir einige Botschaften in Helsinki, zum Beispiel die Botschaft von Italien und weitere Kulturinstitute wie das Goethe Institut, angesprochen. Diese fanden die Idee gut und so haben wir tatsächlich Fördergelder aus dem finnischen Kulturfond für unsere Street Art- und Graffiti-Projekte erhalten. Auch die Stadt Helsinki und das Stadtmarketing unterstützen mittlerweile unsere Projekte. Durch die Fördergelder konnten wir weitere Projekte realisieren und dadurch haben wir noch mehr Aufträge erhalten. Und so kamen wir 2017 auf die Idee unsere Organisation „Helsinki Urban Art“ zu gründen.
Finntastic:
Und woher kommen die Künstler, die euch bei euren Street Art- und Graffitiprojekten unterstützten?
Jaakko:
Durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Botschaften und Kulturinstitutionen in Helsinki, konnten wir bereits zahlreiche Künstler aus ganz verschiedenen Ländern für unsere Street Art- und Graffiti-Projekte gewinnen. Und dass nicht nur aus Europa wie Deutschland, Österreich oder Italien. Auch Künstler aus Kanada, Südafrika, Argentinien oder Australien waren bereits mit dabei. Natürlich sind unter den Künstlern auch viele finnische Künstler zum Beispiel Jani Tolin, Acton, Jesse Pasanen, Anetta Lukjanova und Mion. Ab und zu kontaktieren uns Künstler sogar, wenn sie gerade zu Besuch in Helsinki sind und fragen, ob sie vor Ort ein Projekt mit uns gemeinsam realisieren können.
Finntastic:
Die Stadt Helsinki hat Deine Street-Art-Projekte wie alle Deine Ideen zunächst mit Skepsis betrachtet. Wie hast Du sie dennoch davon überzeugt, Dich bei Deinem farbenfrohen Unterfangen zu unterstützen?
Jaakko:
Skepsis hatte die Stadt bislang bei allen meinen Projekten. Von 1998 bis 2008 gab es in der Stadt auch keine etablierte Street Art und Graffiti-Szene. Die Stadt war zu der Zeit sogar komplett gegen solche Kunstwerke. Es herrschte im wahrsten Sinne des Worts eine „Null Toleranz“-Politik für Graffitis und Street Art. Mittlerweile ist die Stadt Helsinki ein wenig offener geworden. Besonders das Stadtmarketing hat unsere Idee von Anfang gut gefunden. Bei den Stadtplanern mussten wir zunächst ganz schön Überzeugungsarbeit leisten. Doch als sie gesehen haben, welchen Mehrwert unsere Projekte bieten und dass sie auch bei Anwohnern, in der Kunstszene und bei Touristen gut ankommen, konnten wir sie schließlich überzeugen.
Finntastic:
Und wer gehört zum Kernteam eurer Organisation Helsinki Urban Art?
Jaakko:
Damals habe wir zu sechst unsere Organisation „Helsinki Urban Art“ gegründet. Heute besteht das Kernteam aus drei Leuten, aus Maikki, Sara und mir. Maikki habe ich 2014 bei einem Social Innovators Connected-Event in Helsinki getroffen. Das ist ein Netzwerkevent, um Leute mit inspirierenden Ideen in puncto Stadtattraktivität und Urban Activism zusammen zu bringen. 2015 gab es so ein Event übrigens sogar auf internationaler Ebene in Riga und Rom. Gemeinsam sind wir damals auf die Idee zu unseren Street Art Projekten gekommen und zur Gründung unserer Organisation „Helsinki Urban Art“.
Finntastic:
Und was hat es mit dem Wettbewerb „More Street Art for your Hoods“ auf sich?
Jaakko:
Als wir schließlich vom finnischen Kulturfond Fördergelder erhielten, haben wir im Sommer 2016 im Rahmen der Kampagne „Mehr Street Art in Helsinki“ den Wettbewerb „More Street Art for your Hoods“ ausgerufen. Bei dem Wettbewerb ging es darum, dass Anwohner uns Vorschläge für geeignete Locations im Stadtgebiet von Helsinki machen sollen, die einen Farbanstrich dringend nötig haben. Schließlich haben drei Locations das Rennen gemacht, eine Häuserfassade in Roihuvuori und zwei in Kannelmäki. Danach entstand wie gesagt die Idee zu Helsinki Urban Art. Derzeit liegt der Fokus unserer Street Art- und Graffiti-Projekte zwar in Pasila und Kallio, aber wir haben auch an vielen anderen Orten in Helsinki und sogar schon in anderen Städten Projekte realisiert. Pasila ist durch unser Engagement mittlerweile regelrecht zum Street Art District in Helsinki geworden. Mehr als 30 Künstler, darunter finnische, aber auch Street Artist und Graffitikünstler aus der ganzen Welt, haben dort bereits ihren Namen hinterlassen. Wer Lust hat kann sich neuerdings mit der „Pasila Street Art Tour“ auf Entdeckungsreise durch den Stadtteil begeben und die Kunstwerke kennenlernen.
Finntastic:
Und was erwartet uns auf eurer Pasila Street Art Tour und wie lang ist man unterwegs?
Jaakko:
Auf unserer Pasila Street Art Tour kannst Du Street Art und Graffitis aller Art entdecken, zum Beispiel in Stenciltechnik, d.h. Graffitis mit Schablonentechnik, große und kleine Graffitikunstwerke auf Hauswänden und auch großflächige Keramikarbeiten. Die Tour dauert ungefähr zwei Stunden. Du kannst sie ganz bequem zu Fuß ablaufen. Eine Karte mit zusätzlichen Informationen zu den einzelnen Stationen, Künstlern und Kunstwerken findest Du auf unserer Website.
Finntastic:
Bietet ihr auch öffentliche Führungen an?
Jaakko:
Derzeit bieten wir keine öffentlichen Führungen an, Du kannst auf Wunsch aber bei uns eine private Führung buchen, bei der Du ganz viel über die Kunstwerke, die Künstler und die Botschaft hinter dem Kunstwerk erfährst. Die Tour ist auch für Kinder geeignet, denn Verkehr und Fußgängerwege verlaufen in Pasila auf zwei Ebenen und kommen sich so nicht in die Quere. Grundsätzlich halten wir die Touren in English. Auf Wunsch bieten wir aber auch private Führungen auf Finnisch, Deutsch oder Russisch an.
Finntastic:
Bei meinem letzten Helsinkibesuch sind mir beim Schlendern durch Kallio auch einige bunt gestaltete Stromkästen aufgefallen. Steckt eure Organisation auch hinter diesem Projekt?
Jaakko:
Ja genau! Die Kunstwerke gehören auch zu Helsinki Urban Art. Das Projekt heißt Helsingin Taidekatu und erstreckt sich entlang der Helsinginkatu von der Helsinkier Oper bis hin zur Metrostation Sörnäinen. Es ist im Endeffekt die Fortführung des „Brahe Art Field-Projektes“, bei dem Künstler 2016 rund um den Sportplatz tolle Street Art realsiert und Graffitis gesprüht haben. Im Grunde ist der Gedanke ähnlich unserem Kunstprojekt in Pasila. Verschönert wurden in Kallio allerdings vor allem 29 Stromkästen und eher kleinere Hauswände. Wir wollten damit auch jungen Künstlern die Möglichkeit bieten, ihr Talent zu zeigen, die noch nicht so viel Erfahrung mit ganzen Fassaden und großen Wandflächen gemacht haben. Und natürlich sollte auch Kallio dadurch einfach ein wenig mehr Farbe bekommen.
Fast alle Kunstwerke in Kallio stammen von Mitgliedern aus dem Netzwerk der finnischen G-REX Street Art Group. Außerdem haben sich weitere Künstler aus Chile, Estland und Schweden an der Helsingin Taidekatu beteiligt. Eines der größten Kunstinstallationen ist das Kunstwerk in der Linnunlauluntie in Töölönlahti. Die Künstler ließen sich für das Kunstwerk tatsächlich von den Singvögeln in unserer Stadt inspirieren. Ein paar Schüler der Aleksis Kivi Schule haben sich im Rahmen eines Workshops ebenfalls beteiligt und eine Wand am Schuleingang in der Sturenkatu durch Stenciltechnik verschönert.
Finntastic:
Klingt toll! Das werde ich mir alles bei meinem nächsten Besuch in Helsinki ansehen! Welche Pläne habt ihr für die Zukunft? Welche Kunst- bzw. Graffitiprojekte stehen derzeit auf eurer Agenda?
Jaakko:
Derzeit haben wir ein wirklich großes Projekt in Vorbereitung. Wir möchten in Pasila ein Kunst- und Kulturzentrum für Street Art und Graffiti eröffnen, wo es Workshops zu unterschiedlichen Graffiti- und Street Art-Techniken geben soll. Sozusagen ein Headquarter für Street Art und Graffiti in ganz Helsinki. Damit wollen wir Pasila auch noch ein wenig mehr beleben. Vor Ort soll es dann auch regelmäßig Kunstausstellungen und Events sowie Filmvorführungen und Lesungen geben. Die ganze Idee ist im Grunde so ähnlich wie unser Olohuone im Stadtteil Kalasatama, nur eben mit einem künstlerischen Schwerpunkt. Zum Olohuone, unserem neuesten Projekt, erzähle ich Dir dann gerne das nächste Mal mehr!
Finntastic:
Prima, ich bin schon gespannt, worum es in Deinem neuen Projekt geht!
Über Jaakko Blomberg und Helsinki Urban Art
Jaakko Blomberg stammt aus Kajaani in Nordfinnland. Seine Mutter arbeitete als Schuldirektorin, sein Vater als Forstwirt. Und auch wenn Jaakko die unberührte Natur und den Wald liebt, konnte sein Vater ihn nicht dazu überreden, in seine Fußstapfen zu treten. Denn Jaakko interessierte sich schonimmer mehr für Menschen und ihre Kultur. Und so studierte er Ethnologie, Geschichte und Archäologie, Literatur- Religions- und Musikwissenschaften sowie Kunstgeschichte in Helsinki, Jyväskylä und in Berlin.
Für das Kultuuritalo in Kallio organisierte er bereits zahlreiche Events und Ausstellungen. Doch auf Dauer waren ihm die traditionellen Veranstaltungsformen, wo sich Kulturproduzenten und Kulturkonsumenten gegenüberstehen, zu monoton. Er wollte einfach mehr Leben in Helsinkis urbane Stadtkultur bringen und gleichzeitig mehr junge Menschen sowie andere Bewohner dazu motivieren, sich intensiver für ihre Stadt zu engagieren. Und so begann er gemeinsam mit anderen Stadtmachern und Aktivisten vor sechs Jahren damit, kreative Projekte in der ganzen Stadt zu realisieren, zum Beispiel den „Siivouspäivä“, das „Dinner under the Sky“ oder den „Helsinki Sauna Day“.
Mittlerweile gehören die Stadt Helsinki und das Stadtmarketing Visit Helsinki zu seinen Unterstützern sowie zahlreiche Privatsponsoren. Jaakko ist außerdem weltweit mit anderen Stadtmachern vernetzt und hat bereits auf zahlreichen urbanen Citmaking-Events, wie in Riga, Rom, Amsterdam oder Valletta seine Projekte vorgestellt. Im Netzwerk „Cities in Transition“, ein Netzwerk für Stadtmacher und Aktivisten in ganz Europa, das in den Niederlanden gegründet wurde, repräsentiert er mit seinen Ideen derzeit Finnland. Noch dazu ist er weltweit unterwegs, um andere Menschen von seinen Ideen zu begeistern sowie Leute in anderen Städten dazu zu motivieren, sich selbst mehr für ihre Stadt zu engagieren und hält Lesungen, Vorträge und Workshops zum Thema Stadtaktivismus.
Mehr über Jaako Blombergs aktuelle und künftige Projeke unter jaakkoblomberg.fi sowie auf helsinkiurbanart.com.
—> Interview Teil II: Das Kalasataman Vapaakaupungin Olohuone – Ein Treffpunkt für Groß und Klein
Weitere Artikel und Interviews mit und über den Stadtmacher:
- „Just Do it!“ – Jaakko Blomberg bringt Farbe in Helsinkis Stadtkultur
- Frag nie ob Du darfst – Brand Eins Wirtschaftsmagazin
- Mobile Home 2017 Berlin – Interview mit Jaakko Blomberg
- CO-Urbanism – – Interview with Jaakko Blomberg
- Der Helsinki Dauna Day im Süden Deutschlands (Beitrag von Bloggerkollegin Tarja Prüss)
- Die besten Spots für Street Art (Blogparade & Round-Up von Gin des Lebens)