Tatjana Bergelt und das sauna seele Buch

(FOTO: Jussi Tiainen) Der Einband des
(FOTO: Jussi Tiainen) Der Einband des "sauna seele" Buches verströmt einen leichten Rauchgeruch, ein erster Hinweis auf die finnische Savusauna (Rauchsauna)

Im letzten Blogpost habe ich Euch bereits erzählt, dass Sauna in Finnland eine lange Tradition hat. Die Künstlerin Tatjana Bergelt aus Helsinki, die ich auf der Frankfurter Buchmesse 2016 getroffen habe, hat sich der finnischen Saunatradition auf künstlerische Weise genähert.

Sie lebt mit ihrer Familie in Finnland und hat ein wunderschönes und inspirierendes Künstlerbuch über die finnische Sauna erschaffen. Ihr “sauna seele” Buch weist auf den Ursprung der finnischen Saunatradition hin  –  die Rauchsauna (finn. savusauna) . Wie es zu der Idee kam und welche Bedeutung das Kunstprojekt für sie hat, hat sie mir exklusiv im Interview verraten.

Tatjana Bergelt Portrait
(FOTO: Finntastic) Die Künstlerin Tatjana Bergelt aus Helsinki und ihr Künstlerbuch über die finnische Saunatradition

Die Sauna und die Kunst – Interview mit Künstlerin Tatjana Bergelt aus Helsinki

Finntastic:
Hallo Tatjana, wie schön, dass Du Dir Zeit nimmst für ein Interview auf meinem Finnlandblog. Ich bin schon sehr gespannt, mehr über Dein “sauna seele” Buch und Dich als Künstlerin zu erfahren. Doch zunächst interessiert mich besonders, wie Du nach Finnland gekommen bist – denn Du bist ja eigentliche zum Teil Deutsche.

Tatjana:
Richtig, ich habe deutsch-slawisch-jüdische Wurzeln. Mein Vater ist Deutscher, meine Mutter russische Jüdin. Ich lebe seit 18 Jahren in Finnland, weil ich einen Finnen geheiratet habe. Nach Finnland bin ich gezogen, weil mein finnischer Mann an der Universität Helsinki tätig ist und ich als Künstlerin einfach mehr Bewegungsfreiheit habe, als er. Den Kindern geht es hier in Finnland auch sehr gut und so ist diese Lebenssituation entstanden.

Finntastic:
Du lebst also schon sehr lange in Finnland. Bist Du gerne dort? Was gefällt Dir besonders an Finnland, der finnischen Kultur und Lebensweise und gibt es markante Unterschiede im Vergleich zur Deutschen?

Tatjana:
Mir gefällt an Finnland, dass es hier nicht so viel Wettbewerb, Druck, Stress und Menschenmassen gibt. Die Natur und die Beziehung zu den natürlichen Einflüssen von Stille, Regen, Licht, Dunkelheit und Kälte sind in Finnland mehr prävalent und bilden eine existentielle Verbindung zu einem selbst. Man genießt mehr Freiheit und Ruhe, die manchmal allerdings auch als isolierend oder einsam empfunden werden kann. Finnen sind zurückhaltender als Deutsche und ihre Bescheidenheit wirkt sehr sympatisch.

Finntastic:
Ich habe das Leben in Finnland auch viel entspannter in Erinnerung. Besonders mag ich auch die Naturverbundenheit und das Interesse der Finnen an Kunst, Architektur und Design. Alles gute Gründe, um dorthin auszuwandern. Du hast bereits an vielen Orten der Welt gelebt: Finnland, Estland, Frankreich, Spanien, Rußland, Texas (USA). Welche Kultur fasziniert dich besonders bzw. welcher Kultur fühlst Du dich am meisten verbunden?

Tatjana:
Schwierige Frage. Überall wo Menschen leben, gibt es Geschichten, Spannungen, Konflikte und ihre Lösungsformen. Russland hat mich schon immer in Atem gehalten. Die Wärme und Gastfreundschaft der Menschen, die reiche Geschichte und Vielseitigkeit der Kultur, aber auch die Härte im Umgang mit dem Leben des einzelnen – all das führt zu einer faszinierenden Absurdität.

Finntastic:
In Russland war ich bislang noch nicht. Die russische Kultur finde ich allerdings auch sehr spannend. Vielleicht klappt es bei meinem nächsten Finnlandaufenthalt mit einem Kurztrip nach Sankt Petersburg. Schade, dass man für die Einreise immer ein Visum braucht, sonst wäre eine Reise dorthin viel einfacher zu organisieren. Doch jetzt musst Du mir genauer erklären, wie Deine Leidenschaft zur Kunst und Malerei entstand?

Tatjana:
Sie begann bereits in meiner Kindheit. Schon als 13-Jährige zeichnete und malte ich sehr gerne. Aus diesem kreativen Hobby entwickelte sich im Laufe der Zeit ein intensives Interesse an Architektur, Kunstgeschichte und Malerei und führte schließlich ganz logisch zum Studien- und Berufswunsch.

"sauna seele" Buch
(FOTO: Finntastic) Das “sauna seele” Buch von Tatjana Bergelt über die finnische Saunatradition

Finntastic:
Das hört man oft, dass sich der Berufswunsch schon in der Kindheit manifestiert. Und warum hast Du Dich gerade für die Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein in Halle entschieden? Es gibt doch sicher recht viele Kunsthochschulen in Deutschland. Was zeichnet denn das Kunststudium an der Burg Giebichenstein aus?

Tatjana:
Ich bin 1966 in Ost-Berlin geboren und auch dort aufgewachsen. Mir standen damals deshalb gar nicht so viele Kunsthochschulen und grundsätzlich auch nur bestimmte Studienrichtungen zur Auswahl. Da der sozialistische Staat das Studium einschließlich eines Stipendiums vollfinanzierte, sah er sich auch im Recht zu entscheiden, welche Berufe gebraucht und studiert werden dürfen. Kunst hatte  im Vergleich zu Lehramt, Ökonomie oder Maschinenbau leider keine Priorität.

Es gab damals in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) auch nur vier renommierte Kunsthochschulen. Jede ein wenig anders orientiert, abhängig von der Tradition der Vorkriegszeit. Die Dresdener Kunstakademie hatte sehr alte Wurzeln und somit ein anderes Profil als die Kunsthochschule Berlin-Weissensee. In Dresden bewarben sich zumeist ältere und erfahrene Kandidaten. Die Kunsthochschule in Berlin-Weissensee, die erst nach dem Krieg gegründet wurde, war jung und mehr an die Architektur angebunden. Leipzig pflege bereits damals die Tradition der Buchmesse und war deshalb eher auf Grafik und Buchkunst spezialisiert.

Die Burg Giebeichenstein in Halle stand für Qualität und Intimität als relativ kleine Hochschule. Sie wurde von Wiener Künstlern Anfang der Jahrhundertwende gegründet und bildete in den 20er-Jahren ein Pendant zum Bauhaus in Weimar. Während das Bauhaus aufgelöst wurde, hat die Burg Giebichenstein den Krieg mit angehaltenem Atem überlebt und die Tradition der angewandten Kunst in die DDR übernommen. Das Studium an der Burg Giebichenstein unterteilte sich in ein gemeinsames Grundlagenstudium und ein Handwerk, in dem man sich letztendlich spezialisierte. In den 90er-Jahren wurden an der Burg Giebichenstein pro Jahr zwei bis vier Studenten im Fachbereich Malerei aufgenommen. In meinem Jahrgang waren es damals mit mir zusammen nur zwei.

Finntastic:
An der Kunstakademie aufgenomen zu werden war dann sicherlich nicht so einfach? Musstest Du eine Aufnahmeprüfung absolvieren?

Tatjana:
Genau, ich musste eine dreitägige Eignungsprüfung absolvieren, ein Eignungsgespräch führen und eine Mappe mit Zeichnungen und Malereien abgeben. Allerdings bin ich nicht sofort im Fach Malerei angenommen worden. Ich wechselte nach anderthalb Jahren Vorstudium in der Klasse für Metallgestaltung von Frau Professor Ohme schließlich zum Fach Malerei. Ich hatte ein Stipendium, wie alle aufgenommenen Studenten, allerdings nicht das Höchste, da ich nicht drei Jahre bei der Armee gedient hatte oder Parteimitglied war.

Finntastic:
Und was motivierte Dich dann während deines Studiums an der Burg Giebichenstein für ein Jahr an die Kunsthochschule in Tallinn zu gehen? Welche Eindrücke hast Du aus der estnischen Kunstszene mitgenommen?

Tatjana:
Meine Motivation aus Halle nach Estland zu gehen – das damals übrigens noch nicht als eigenständiges Land existierte, sondern Teil der Sowjetunion war – entstand aus dem unbändigen Drang, die DDR von außen sehen zu wollen, sie zu verlassen, wegzugehen und Lehrjahre zu leben. Der Westen stand mir nicht zur Wahl, also ging ich in den Osten.

Die Burg Giebichenstein in Halle hatte im Fachbereich Design einen Austausch mit der Kunsthochschule in Tallinn. Es gab auch einen Kontakt zu einer Design-Schule in Charkow, aber ich studierte Malerei und somit kam diese für mich nicht in Frage. Eigentlich wäre ich am liebsten nach Prag gegangen, aber da waren keine offiziellen Beziehungen gegeben.

(FOTO: Jussi Tiainen) Das “sauna seele” Buch von Tatjana Bergelt ist eine Ode an die finnische Saunatradition

Finntastic:
Scheinbar war es damals nicht so einfach wie heute, zum Studieren ins Ausland zu gehen.

Tatjana:
Genau, es war überhaupt nicht einfach. Den heutigen Studenten stehen, im Vergleich zu früher, alle Türen offen. Das Austauschstudium, das ich einging, gab es in dieser Form weder vor, noch nach mir. Es ist vollständig aus meiner eigenen Initiative heraus entstanden und verschiedenen skurrilen Glücksumständen zu verdanken.

Meine damalige Professorin Annette Peuker riet mir, einen Brief an das Kulturministerium der DDR zu schreiben, mit der Bitte meinem Wunsch, innerhalb des sozialistischen Auslandes einen Austausch machen zu dürfen, nachzukommen. Mir ist heute noch unklar, dass ich das wirklich getan habe. Wir hatten ja auch Angst vor der Staatsgewalt und lebten nicht unbedingt in dem Bewusstsein von eigenen Rechten.

Doch mein Brief wurde tatsächlich bearbeitet und an unseren Hochschul-Prorektor als Eingabe weitergereicht, der sich plötzlich damit beschäftigen musste. Ich wurde daraufhin zu einem Gespräch unter vier Augen eingeladen und befragt, warum es Tallinn, also gerade Estland sein sollte. Ob ich Kontakte in Finnland hätte und ob ich vorhatte das Land über die Ostsee zu verlassen. So absurd mir diese Fragen damals auch erschienen, so ahnte ich zu dieser Zeit noch nicht, dass ich wahrhaftig zehn Jahre später einmal in Helsinki leben würde.

Finntastic:
Und Welche Eindrücke hast Du während Deines Aufenthaltes in Tallinn gewonnen. Wie hast Du die estnische Kultur erlebt?

Tatjana:
In Tallinn angekommen, wurde ich als „die Deutsche, die nur ein Jahr hier ist“ behandelt und war plötzlich sehr frei. Keiner kümmerte sich darum, was, wann und wieviel ich „studierte“. Das war ein großer Kontrast zu dem beengten ost-deutschen „Jeder-kennt-jeden“-Studienalltag. Ich wußte kaum etwas über Estland zu dieser Zeit. Es war eine der 15 sozialistischen Republiken der Sowjetunion. Ich hatte keine Ahnung wie verschieden ihre Sprache und Kultur im Vergleich zu der mir sehr gut bekannten russischen Sprache und Kultur waren. Es war 1989, die Esten kämpften sich gerade frei. Sie hatten eine stolze, stille, stätige Art dies zu tun. Die estnische Kunstszene lehnte sich an Vorkriegstraditionen an, d.h. Verbindungen nach Mitteleuropa waren wichtiger, als 45 Jahre Zwangsmitgliedschaft in der Sowjetunion.

Finntastic:
Das ist wirklich sehr interessant. Ich habe Estland während meines letzten Aufenthaltes 2011 in Tallinn auch als eine sehr moderne und aufstrebende Nation empfunden. Nach Deinem Studium in Halle und Deinem Auslandsjahr in Tallinn bist Du dann für ein weiteres Masterstudium an die berühmten École Nationale Supérieure des Beaux-Artes de Paris gegangen. Was hat Dich dazu bewogen?

Tatjana:
Während ich in Tallinn war, fiel die Mauer. Das öffnete mir den Weg in den Westen. Nach meinem Jahr in Estland trampte ich nach Paris. Ich wollte endlich die im Studium viel besprochenen Kunstwerke bedeutender Maler wie Fra Angelico, Botticelli und Fra Filippo Lippi im Original sehen. Paris faszinierte mich. Alles was ich zuvor in Büchern über die Stadt gelesen habe, war equivalent mit der Realität, so dass es mir zunächst unglaublich erschien, dass dieses Paris tatsächlich existierte. Das veranlasste mich dazu, da zubleiben und zu schauen, ob es dort wirklich so fantastisch war.

Das bedeutete für mich natürlich, dass ich malen wollte. Doch wo konnte ich das tun, ohne Miete für ein Atelier zahlen zu müssen – von einem Einkommen, das ich gar nicht hatte? Natürlich an einer Kunsthochschule, denn dort kann man in den Ateliers umsonst arbeiten. Also nichts wie hin!

Anfangs wusste ich nichts vom Ruhm der École Supérieure des Beaux-Arts de Paris, nichts darüber, dass aus ganz Frankreich, Westeuropa sowie Asien Studenten dorthin drängten. Ich wusste damals noch nicht einmal, dass man in Frankreich nicht nur eine andere Sprache sprach, sondern auch eine andere Kultur lebte und dass der Westen eben auch seine eigenen Regeln hatte. Ich bekam kein Bafög, da mir nicht bekannt war, dass ich mich dafür hätte bewerben können.

Meine Sprachkenntnisse beschränkten sich auf Deutsch, Russisch, Spanisch und Englisch. Doch ich hatte keine Bedenken, dass mich die Stadt Paris aufnehmen würde. An der École Supérieure des Beaux-Arts de Paris musste ich mich mit einer Mappe zu einem Eignungsgespräch vorstellen. Da ich Englisch jedoch kein Französisch sprach, schlugen die Franzosen mir vor, nach England zu gehen. Doch ich wollte unbedingt in Paris bleiben und so erklärte ich ihnen, dass ich aus Ost-Deutschland hergetrampt sei und dass dies über das Wasser so leicht nicht möglich wäre. Letztendlich bin ich dann doch an der berühmten Pariser Kunstakademie aufgenommen worden. Die ersten drei Jahre waren allerdings finanziell sehr anstrengend und existentiell schwierig.

"sauna seele" Buch - Tatjana Bergelt
(FOTO: Jussi Tiainen) Saunaskizzen im “sauna seele” Buch von Tatjana Bergelt geben Aufschluss über die finnische Saunatradition

Finntastic:
Paris ist wirklich eine wunderschöne Stadt, für eine Künstlerin sicher ein toller Ort, um künstlerisch tätig zu sein. Welche Eindrücke hast Du aus der Zeit in der Stadt der Dichter, Denker und Maler mitgenommen?

Tatjana:
Die französische Kunstszene war und ist sehr international. Die meisten meiner Professoren an der École Supérieure des Beaux-Arts de Paris, beispielsweise Abraham Hadad aus Tel Aviv, Vladimir Velikovic und Marina Abramovitc aus Jugoslavien, Antonio Segui aus Argentinien, Avraham Pincas aus Bulgarien oder Jan Vosss aus Deutschland sind aus dem Ausland nach Frankreich gezogen und wurden unvoreingenommen akzeptiert. Die Szene war weitgefächert zwischen Abstraktion, Figuration, Fotografie, Installation, Buchkunst, Druck- und Filmkunst. Es schien sehr belebt, frei, poetisch und vor allem – kollegial.

Finntastic:
Das klingt nach einem idealen Ort, um sich künstlerisch weiter zuentwickeln. Du hast Dich innerhalb Deines Studiums dann später für einen drei-monatigen Aufenthalt an der Fakultät der Feinen Künste der Universität Barcelona entschieden? Wie hat es Dir in der zweitgrößten Stadt Spaniens gefallen?

Tajana:
Genau, der Aufenthalt in Barcelona basierte auf einem Erasmus-Austausch, d.h. ich erhielt keine finanzielle Zuwendung. Allerdings musste ich mir keine Wohnung suchen, da ich meine eigene, für eine Unterkunft vor Ort eintauschte. Der wichtigste Eindruck in Barcelona war das helle Licht im Februar, das mich das erste Mal begreifen ließ, warum die Maler des zwanzigsten Jahrhunderts im Winter in die südlichen Länder wie Griechenland oder Spanien zum Malen fuhren. Außerdem war ich erstaunt, wie wenig Fragen meine Kommilitonen ihren Eltern über die Zeit von Franco stellten, einem eindeutigen Diktator, der nie vor Gericht eine Verurteilung erlebt hat. Dies war 1993 und Spanien war zu dieser Zeit noch nicht sehr europäisch, eher national.

Finntastic:
Dann hat sich in Spanien auch eine Menge verändert. Mittlerweile sind die Spanier ein sehr weltoffenes Volk. Nachdem Du uns nun an vielen spannenden Eindrücken aus Deinem Leben in unterschiedlichen Ländern hast teilhaben lassen, möchte ich unbedingt mehr über Dich und Deine Kunst erfahren. Wo genau in Helsinki befindet sich denn Dein Künstler-Atelier und wie würdest Du die Helsinkier Kunstszene beschreiben?

Tatjana:
Mein Atelier befindet sich im Helsinkier Stadtteil Vallilla, in einem Gebäude, das der finnischen Ateliergesellschaft gehört. Die Helsinkier Kunstszene ist die Vielschichtigste im ganzen Land. Es leben mittlerweile viele renommierte, internationale Künstler in Helsinki. Es gibt viele Foren und Veranstaltungen zum Thema Kunst, Architektur und Malerei.


Finntastic:

An welchen renommierten Hochschulen und Universitäten in Finnland kann man denn Kunst und Malerei studieren?

Tatjana:
In Finnland ist die renommierteste Kunsthochschule die Helsinkier Kunstakademie, welche mit der Theaterhochschule und der Sibeliusakademie ein Konsortium bildet. Aber im Bereich der angewandten Kunst ist die Aalto Universität weltberühmt.

Finntastic:
Hast Du für alle Liebhaber von Kunst, Malerei und Architektur noch ein paar gute Insidertipps, was man sich in Helsinki unbedingt anschauen sollte? Welche Museen und Galerien kannst Du empfehlen?

Tatjana:
Ich bin kein Reiseführer und denke, dass jeder das abhängig, von seinem ganz persönlichen Interesse, individuell gestalten sollte. Aber Museen, wie das Ateneum, das Kiasma, das Museum für Fotografie in der alten Kabelfabrik (kaapelitehdas) und nicht zuletzt das Sinebrychoff Museum haben wunderbare Ausstellungen, dazu kommen eine Masse verschiedenster Galerien in Helsinki, alle interessant zu besuchen. Die Kallio-Kirche und Kallio Stadtbibliothek, die National Bibliothek und die Forum Box Galerie sind auch immer einen Besuch wert.

Finntastic:
Kann man Dein Künstler-Atelier auch besuchen und mit Dir ins Gespräch kommen?

Tatjana:
Jeder, der möchte, kann mich in meinem Atelier gerne besuchen kommen, wenn ich Zeit habe und im Land bin. Bei Interesse einfach anrufen oder über E-Mail mit mir Kontakt aufnehmen. Ich freue mich immer über kunstinteressierten Besuch aus aller Welt.

Finntastic:
Und wie entstand nun eigentlich die Idee zu Deinem “sauna seele” Buch? Was genau möchtest Du mit Deinem Kunstwerk vermitteln?

Tatjana:
Die Idee zum “sauna seele” Buch entstand aus dem Bedürfnis heraus, sich mit etwas Traditionellem auseinander zu setzen, das jeder Finne kennt und liebt, mich eingeschlossen, aber niemand wirklich viel darüber spricht. So wählte ich als Thema die traditionelle Rauchsauna (finn. savusauna). Sie ist die ursprünglichste aller Saunaformen und ein mir sehr vertrautes und eigentlich gar nicht so finnisches Ding. Ich kannte sie bereits von unseren zahlreichen Besuchen in Russland und weil wir auf unserem Sommersitz in Thüringen seit 1977 eine holzbeheizte Sauna haben. Mein Vater ist Architekt und hat sie nach russisch-finnischem Vorbild erbaut.

Beim Namen meines Künstlerbuches lege ich großen Wert auf “sielu” oder “Seele”, weil es eben nicht um Sauna im eigentlichen Sinn im “sauna seele” Buch geht. Sondern um etwas, das innerhalb der Sauna entsteht: das Phänomen des Wohlgefühls, das anknüpft an eine unsichtbare Kette aus Erinnerungen, an Gerüche, Abfolgen – Gleichberechtigung und totale Gleichwertigkeit, einfach so, gelebt. Ohne diese absurden, in Deutschland erfundenen und als wahre finnische Saunaregeln herausgegebenen Begrenzungen. Wenn es einen Ort gibt, wo Mann und Frau, alt und jung, gebildet und einfach, nackt und somit gleich und ebenbürtig zueinander sind– dann ist es in der Sauna.

Finntastic:
Aus welchem Material ist das “sauna seele” Buch und wie hast Du es hergestellt. Wie viele Exemplare gibt es eigentlich?

Tatjana:
Es gibt insgesamt nur sieben gedruckte Exemplare. Das Künstlerbuch selbst ist mit vielen unterschiedlich dünnen Papierseiten im Pigmentdruck bestückt: Saunagrundrisse und Skizzen wechseln sich ab mit malerisch, farbigen, aber dennoch zarten Bildern in Pastelltönen und nehmen den Betrachter mit auf eine Reise der Sinne und zu den Ursprüngen der Saunatradition.

Der rauhe, filzige Einband des Buches verströmt einen leichten Rauchgeruch. Ein erster Hinweis auf die Savusauna, die ursprünglichste aller Saunaformen. Doch auch in den Skizzen und pastellfarbenen Pigmentdrucken spiegelt sich die rauchige Atmosphäre der traditionellen savusauna wider. Auf manchen Seiten hat der Betrachter das Gefühl, als schaue er durch einen leichten Rauchschleier. Hier und da tauchen Personen aus dem Dunst auf. Mein Sauna seele Buch repräsentiert die Saunatradition und spiegelt das Gefühl purer Entspannung wider, dass man während und nach einem Saunagang verspürt.


Finntastic:

Eine wirklich tolle Idee, Dein “sauna seele” Buch. Gibt es eigentlich viele Künstler in Helsinki, die mit Pigmentdruck arbeiten? Was genau ist denn Pigmentdruck und wie funktioniert diese Drucktechnik?

Tatjana:
Die digitalen Möglichkeiten beeinflussen alle Künstler, sei es in der Fotografie oder in der Grafik. Grundsätzlich gibt es zwei Verfahren: Laserdruck und Tintenstrahldruck (Giclée Print). Das Verfahren funktioniert so: Entweder wird ein Bild in den Computer gescannt oder mittels eines Grafikprogrammes entworfen. Danach wird es über einen an den Computer gekoppelten Drucker ausgedruckt. Ist das Papier so dünn, wie meins, muss ich den Drucker überlisten, denn so dünnes Papier kann eigentlich nicht bedruckt werden. Deshalb wird jedes einzelne Blatt auf ein stärkeres Blatt kaschiert (gekleidet) und nach dem Druckvorgang wieder davon abgelöst. So entsteht der Pigementdruck auf hauchdünnem Papier. Laserdruck heißt übrigens deswegen so, weil man bei dieser Druckmethode Pigmente auf das Papier brennt. Im Unterschied dazu werden beim Tintenstrahldruck die Pigmente in flüssiger Form auf das Papier gesprüht.

Finntastic:
Eine interessante Druckmethode und Kunstform. In welchen Galerien und Museen kann man Deine Kunst und das “sauna seele” Buch anschauen?

Tatjana:
Meine Kunst ist in der Künstlerbuchsammlung der Helsinkier Stadtbibliothek, in den besonderen Sammlungen der National Bibliothek Finnland, in der Taidelainamo und der Galleria G & Grafoteekki in Helsinki, in der Galleria Joella in Turku sowie in der Staatsbibliothek in Berlin und in der New York Public Library zusehen.

Speziell mein “sauna seele” Buch kann man in den besonderen Sammlungen der National Bibliothek Finnland anschauen sowie ab September 2017 auch in der Galleria Joella in Turku und auf Anfrage in meinem Atelier in Helsinki.

Finntastic:
Welche Kunstprojekte aus der Vergangenheit liegen Dir besonders am Herzen?

Tatjana:
Wenn ich als herausragend die Projekte benenne, die eine Herausfordeung für mich darstellten, dann sind das das Ääniilo Musikprojekt und das Künstlerbuchprojekt „barfuss im Schnee“.

Für das Ääniilo Musikprojekt mit der Sängerin Mari Kalkun aus Estland und der Band Runorun aus Finnland kreierte ich eine Serie von großformatigen Textilcollagen als Bühnenbild und gestaltete auch ein CD-Cover. Das Album heisst “tii ilo” (Wegesglück) und ist übrigens auch in Deutschland erschienen. Wer mehr über Mari Kalkun und ihre Musik erfahren möchte, kann gerne einmal auf ihrer Website vorbeischauen.

Mein Künstlerbuch “Barfuss im Schnee” enthält erstmalig ins Deutsche übersetzte Gedichte des phantastischen, jedoch bereits verstorbenen Allround-Künstlers Nils Aslak Valkeapää. Er war ein samischer Aktivist und Pionier und die Stimme der Samen in Finnland. Das Künstlerbuch erschien 2015 in vier Exemplaren und erlangte auf der Frankfurter Buchmesse sehr viel Zuspruch und Aufmerksamkeit. Das Interesse an der samischen Kultur habe ich auf sehr persönliche Art und Weise in meine künstlerische Sprache übersetzt, in dem ich Satelitenaufnahmen der Nordhalbkugel mit Archivphotos der Samen vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts auf 21 Gramm dünnem, japanischen Papier überlagerte, so dass die Zeit durchschimmert.

Es war ein heikles Thema, denn die Samen sind das einzige Urvolk in Europa, das immer noch für ihre Rechte kämpfen muss. Das Projekt war technisch sehr schwierig auszuführen. Aber es hat eine ungeheure Befriedigung mit sich gebracht, denn ich liebe und achte das Land der Samen und mit diesem Kunstprojekt konnte ich das zum Ausdruck bringen.

 

Finntastic:
Eine wirklich kreative Idee, gefällt mir sehr! Und an was arbeitest Du zur Zeit?

Tatjana:
Momentan arbeite ich an einem Künstlerbuch, das „Zeitgedächtnis“ heissen wird. Es beschäftigt sich mit der Nationalbibliothek Finnlands, als Symbol für die eingefangene Zeit, als Gedächtnis einer Nation, die dieses Jahr hundert Jahre alt wird. Die Idee entstand als Professor Kai Ekholm, der Leiter der Nationalbibliothek, sich das Buch „Barfuss im Schnee“ anschaute und begeistert vorschlug, dass ich diese Herangehensweise doch auch für ein neues Projekt anlässlich des Finnischen Jubiläusjahres nutzen könnte.

Er öffnete mir die Türen zur Nationalbibliothek, die normalerweise hauptsächlich von Forschern genutzt wird, aber eigentlich auch eine öffentliche Leihbibliothek und somit für jederman zugänglich ist. Sie ist ein Juwel der Geschichte und Architektur. Für mich als Nicht-Finnin ist es eine große Ehre, aber auch eine Herausforderung für eine 377 Jahre alte Institution eine Kleinstedition von acht Exemplaren, zum hundertjährigen Jubiläum der Republik Finnland zu erstellen.

Ein anderes Projekt, an dem ich gerade arbeite, ist ein Projekt mit Ärzten in Tansania. Frauen werden dort immer noch beschnitten und in ihren Familien misshandelt, ohne zu wissen, dass sie  als Mensch –  als Frau – das Recht haben, ein gewaltfreies Leben führen zu dürfen. In dem zweiwöchigen Künstlerbuch-Workshop „Meine Geschichte erzählen“ werde ich mit betroffenen Frauen gemeinsam gestalten. Identitätsäußerung und –bestätigung durch künstlerischen Ausdruck sozusagen.

Finntastic:
Das finde ich toll, dass Du Deine Kunst auch für die Sensibilisierung von gesellschaftsrelevanten Themen einsetzt und Du der Republik Finnland zum hundertsten Bestehen ein so kreatives Künstlerprojekt widmest. Was wünscht Du Finnland zum runden Geburtstag?

Tatjana:
Ich wünsche “Suomen neidille” („dem Mädel Finnland“), der Republik Finnland ein gesundes Selbstvertrauen, auch wenn sie noch so jung ist und eine bewusste Zukunft mit Verantwortung für die Sámi-Völker und deren Rechte, die Natur und die Kinder dieses Landes, damit auch weitere Generationen stolz sein können, in Finnland geboren worden zu sein.

Finntastic:
Was mich zum Abschluss noch interessieren würde, bist ist Du auch in Deiner Freizeit künstlerisch tätig und hast Du noch weitere Hobbies?

Tatjana:
Für mich gibt es keine klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Meine Tätigkeit ist für mich gleichzeitig Arbeit und Passion. In meiner Freizeit arbeitet mein Gehirn und wenn ich denke, beobachte ich, sehe ich Zusammenhänge, empfinde ich und damit arbeite ich bereits an einer zukünftigen Ausdrucksform. Ein weitere Lieblingsbeschäftigung ist für mich, ins Kino zu gehen, Filme auf Filmfestival zu schauen und Sport zu treiben.

Finntastic:
Lieben Dank Tatjana, das war ein wirklich sehr spannendes Interview mit tollen Einblicken in die unterschiedlichen Kulturen und Zeitepochen sowie in die Welt der Malerei und Kunst. Vielen herzlichen Dank, dass Du Dir Zeit dafür genommen hast.

Viel Erfolg für Dein Projekt zum finnischen Jubiläumsjahr sowie für alle deine weiteren aktuellen und künftigen, künstlerischen Vorhaben. Kiitos paljon mukavasta haastattelusta!

Tatjana:
Dir auch vielen Dank für das Interview und liebe Grüße an alle Finnlandliebhaber und Skandinavienfans.


Weitere Informationen über die Künstlerin Tatjana Bergelt, das “sauna seele” Buch sowie ihre Kunst und Malerei findet Ihr auf den folgenden Websites:

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